Testi Definizione

Friedrich von Schiller

Kabale und Liebe
Ein bürgerliches Trauerspiel

  • Erster Akt
  •  
  • Zweiter Akt
  •  
  • Dritter Akt
  •  
  • Vierter Akt
  •  
  • Fünfter Akt


  • Personen

    Präsident von Walter, am Hof eines deutschen Fürsten
    Ferdinand, sein Sohn, Major

    Hofmarschall von Kalb
    Lady Milford, Favoritin des Fürsten
    Wurm, Haussekretär des Präsidenten

    Miller, Stadtmusikant oder, wie man sie an einigen Orten nennt, Kunstpfeifer
    Dessen Frau
    Luise, dessen Tochter

    Sophie, Kammerjungfer der Lady
    Ein Kammerdiener des Fürsten
    Verschiedene Nebenpersonen

    Erster Akt

    Vierte Szene

    Ferdinand von Walter. Luise.

    Er fliegt auf sie zu – sie sinkt entfärbt und matt auf einen Sessel – er bleibt vor ihr stehn – sie sehen sich eine Zeitlang stillschweigend an. Pause.

    FERDINAND. Du bist blaß, Luise?
    LUISE steht auf und fällt ihm um den Hals. Es ist nichts. Nichts. Du bist ja da. Es ist vorüber.
    FERDINAND ihre Hand nehmend und zum Munde führend. Und liebt mich meine Luise noch? Mein Herz ist das gestrige, ists auch das deine noch? Ich fliege nur her, will sehn, ob du heiter bist, und gehn und es auch sein – du bists nicht.
    LUISE. Doch, doch, mein Geliebter.
    FERDINAND. Rede mir Wahrheit. Du bists nicht. Ich schaue durch deine Seele wie durch das klare Wasser dieses Brillanten. Er zeigt auf seinen Ring. Hier wirft sich kein Bläschen auf, das ich nicht merkte – kein Gedanke tritt in dies Angesicht, der mir entwischte. Was hast du? Geschwind! Weiß ich nur diesen Spiegel helle, so läuft keine Wolke über die Welt. Was bekümmert dich?
    LUISE sieht ihn eine Weile stumm und bedeutend an, dann mit Wehmut. Ferdinand! Ferdinand! Daß du doch wüßtest, wie schön in dieser Sprache das bürgerliche Mädchen sich ausnimmt –
    FERDINAND. Was ist das? Befremdet. Mädchen! Höre! Wie kommst du auf das? – Du bist meine Luise! Wer sagt dir, daß du noch etwas sein solltest? Siehst du Falsche, auf welchem Kaltsinn ich dir begegnen muß. Wärest du ganz nur Liebe für mich, wann hättest du Zeit gehabt, eine Vergleichung zu machen? Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einen Blick – in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und du hast noch eine Klugheit neben deiner Liebe? – Schäme dich! Jeder Augenblick, den du an diesen Kummer verlorst, war deinem Jüngling gestohlen.
    LUISE faßt seine Hand, indem sie den Kopf schüttelt. Du willst mich einschläfern, Ferdinand – willst meine Augen von diesem Abgrund hinweglocken, in den ich ganz gewiß stürzen muß. Ich seh in die Zukunft – die Stimme des Ruhms – deine Entwürfe – dein Vater – mein Nichts. Erschrickt und läßt plötzlich seine Hand fahren. Ferdinand! ein Dolch über dir und mir! – Man trennt uns!
    FERDINAND. Trennt uns! Er springt auf. Woher bringst du diese Ahndung, Luise? Trennt uns? – Wer kann den Bund zwoer Herzen lösen, oder die Töne eines Akkords auseinanderreißen? – Ich bin ein Edelmann – Laß doch sehen, ob mein Adelbrief älter ist als der Riß zum unendlichen Weltall? oder mein Wappen gültiger als die Handschrift des Himmels in Luisens Augen: Dieses Weib ist für diesen Mann? – Ich bin des Präsidenten Sohn. Eben darum. Wer, als die Liebe, kann mir die Flüche versüßen, die mir der Landeswucher meines Vaters vermachen wird?
    LUISE. O, wie sehr fürcht ich ihn – diesen Vater!
    FERDINAND. Ich fürchte nichts – nichts – als die Grenzen deiner Liebe. Laß auch Hindernisse wie Gebürge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und drüber hin in Luisens Arme fliegen. Die Stürme des widrigen Schicksals sollen meine Empfindung emporblasen, Gefahren werden meine Luise nur reizender machen. – Also nichts mehr von Furcht, meine Liebe. Ich selbst – ich will über dir wachen wie der Zauberdrach über unterirdischem Golde – Mir vertraue dich. Du brauchst keinen Engel mehr – Ich will mich zwischen dich und das Schicksal werfen – empfangen für dich jede Wunde – auffassen für dich jeden Tropfen aus dem Becher der Freude – dir ihn bringen in der Schale der Liebe. Sie zärtlich umfassend. An diesem Arm soll meine Luise durchs Leben hüpfen, schöner als er dich von sich ließ, soll der Himmel dich wieder haben und mit Verwunderung eingestehn, daß nur die Liebe die letzte Hand an die Seelen legte –
    LUISE drückt ihn von sich, in großer Bewegung. Nichts mehr! Ich bitte dich, schweig! – Wüßtest du – Laß mich – du weißt nicht, daß deine Hoffnungen mein Herz wie Furien anfallen. Will fort.
    FERDINAND hält sie auf. Luise? Wie! Was! Welche Anwandlung?
    LUISE. Ich hatte diese Träume vergessen und war glücklich – Jetzt! Jetzt! Von heut an- der Friede meines Lebens ist aus – Wilde Wünsche – ich weiß es – werden in meinem Busen rasen. – Geh – Gott vergebe dirs – Du hast den Feuerbrand in mein junges friedsames Herz geworfen, und er wird nimmer, nimmer gelöscht werden. Sie stürzt hinaus. Er folgt ihr sprachlos nach.

    Torna su

    Fünfte Szene

    Saal beim Präsidenten.
    Der Präsident, ein Ordenskreuz um den Hals, einen Stern an der Seite, und Sekretär Wurm treten auf.

    PRÄSIDENT. Ein ernsthaftes Attachement! Mein Sohn? – Nein, Wurm, das macht Er mich nimmermehr glauben.
    WURM. Ihro Exzellenz haben die Gnade, mir den Beweis zu befehlen.
    PRÄSIDENT. Daß er der Bürgerkanaille den Hof macht – Flatterien sagt – auch meinetwegen Empfindungen vorplaudert – Das sind lauter Sachen, die ich möglich finde – verzeihlich finde – aber – und noch gar die Tochter eines Musikus, sagt Er?
    WURM. Musikmeister Millers Tochter.
    PRÄSIDENT. Hübsch? – Zwar das versteht sich.
    WURM lebhaft. Das schönste Exemplar einer Blondine, die, nicht zuviel gesagt, neben den ersten Schönheiten des Hofes noch Figur machen würde.
    PRÄSIDENT lacht. Er sagt mir, Wurm – Er habe ein Aug auf das Ding – das find ich. Aber sieht Er, mein lieber Wurm – daß mein Sohn Gefühl für das Frauenzimmer hat, macht mir Hoffnung, daß ihn die Damen nicht hassen werden. Er kann bei Hof etwas durchsetzen. Das Mädchen ist schön, sagt Er, das gefällt mir an meinem Sohn, daß er Geschmack hat. Spiegelt er er Närrin solide Absichten vor? Noch besser – so seh ich, daß er Witz genug hat, in seinen Beutel zu lügen. Er kann Präsident werden. Setzt er es noch dazu durch? Herrlich! das zeigt mir an, daß er Glück hat. – Schließt sich die Farce mit einem gesunden Enkel – Unvergleichlich! so trink ich auf die guten Aspekten meines Stammbaums ein Bouteille Malaga mehr, und bezahle die Skortationsstrafe für seine Dirne.
    WURM. Alles, was ich wünsche, Ihr' Exzellenz, ist, daß Sie nicht nötig haben möchten, diese Bouteille zu Ihrer Zerstreuung zu trinken.
    PRÄSIDENT ernsthaft. Wurm, besinn Er sich, daß ich, wenn ich einmal glaube, hartnäckig glaube, rase, wenn ich zürne – Ich will einen Spaß daraus machen, daß Er mich aufhetzen wollte. Daß Er sich seinen Nebenbuhler gern vom Hals geschafft hätte, glaub ich Ihm herzlich gern. Da Er meinen Sohn bei dem Mädchen auszustechen Mühe haben möchte, soll Ihm der Vater zur Fliegenklatsche dienen, das find ich wieder begreiflich – und daß Er einen so herrlichen Ansatz zum Schelmen hat, entzückt mich sogar – Nur, mein lieber Wurm, muß Er mich nicht mitprellen wollen. – Nur, versteht Er mich, muß Er den Pfiff nicht bis zum Einbruch in meine Grundsätze treiben.
    WURM. Ihro Exzellenz verzeihen. Wenn auch wirklich – wie Sie argwohnen – die Eifersucht hier im Spiel sein sollte, so wäre sie es wenigstens nur mit den Augen und nicht mit der Zunge.
    PRÄSIDENT. Und ich dächte, sie bliebe ganz weg. Dummer Teufel, was verschlägt es denn Ihm, ob Er die Karolin frisch aus der Münze oder vom Bankier bekommt. Tröst Er sich mit dem hiesigen Adel;- Wissentlich oder nicht – bei uns wird selten eine Mariage geschlossen, wo nicht wenigstens ein halb Dutzend der Gäste – oder der Aufwärter – das Paradies des Bräutigams geometrisch ermessen kann.
    WURM verbeugt sich. Ich mache hier gern den Bürgersmann, gnädiger Herr.
    PRÄSIDENT. Überdies kann Er mit nächstem die Freude haben, seinem Nebenbuhler den Spott auf die schönste Art heimzugeben. Eben jetzt liegt der Anschlag im Kabinett, daß, auf die Ankunft der neuen Herzogin, Lady Milford zum Schein den Abschied erhalten und, den Betrug vollkommen zu machen, eine Verbindung eingehen soll. Er weiß, Wurm, wie sehr sich mein Ansehen auf den Einfluß der Lady stützt – wie überhaupt meine mächtigsten Springfedern in die Wallungen des Fürsten hineinspielen. Der Herzog sucht eine Partie für die Milford. Ein anderer kann sich melden – den Kauf schließen, mit der Dame das Vertrauen des Fürsten anreißen, sich ihm unentbehrlich machen – Damit nun der Fürst im Netz meiner Familie bleibe, soll mein Ferdinand die Milford heuraten – – Ist Ihm das helle?
    WURM. Daß mich die Augen beißen – – Wenigstens bewies der Präsident hier, daß der Vater nur ein Anfänger gegen ihn ist. Wenn der Major Ihnen ebenso den gehorsamen Sohn zeigt, als Sie ihm den zärtlichen Vater, so dörfte Ihre Anfoderung mit Protest zurückkommen.
    PRÄSIDENT. Zum Glück war mir noch nie für die Ausführung eines Entwurfes bang, wo ich mich mit einem: Es soll so sein, einstellen konnte. – Aber seh Er nun, Wurm, das hat uns wieder auf den vorigen Punkt geleitet. Ich kündige meinem Sohn noch diesen Vormittag seine Vermählung an. Das Gesicht, das er mir zeigen wird, soll Seinen Argwohn entweder rechtfertigen oder ganz widerlegen.
    WURM. Gnädiger Herr, ich bitte sehr um Vergebung. Das finstre Gesicht, das er Ihnen ganz zuverlässig zeigt, läßt sich ebensogut auf die Rechnung der Braut schreiben, die Sie ihm zuführen, als derjenigen, die Sie ihm nehmen. Ich ersuche Sie um eine schärfere Probe. Wählen Sie ihm die untadeligste Partie im Land, und sagt er ja, so lassen Sie den Sekretär Wurm drei Jahre Kugeln schleifen.
    PRÄSIDENT beißt die Lippen. Teufel!
    WURM. Es ist nicht anders. Die Mutter – die Dummheit selbst – hat mir in der Einfalt zuviel geplaudert.
    PRÄSIDENT geht auf und nieder, preßt seinen Zorn zurück. Gut! Diesen Morgen noch.
    WURM. Nur vergessen Euer Exzellenz nicht, daß der Major – der Sohn meines Herrn ist.
    PRÄSIDENT. Er soll geschont werden, Wurm.
    WURM. Und daß der Dienst, Ihnen von einer unwillkommenen Schwiegertochter zu helfen –
    PRÄSIDENT. Den Gegendienst wert ist, Ihm zu einer Frau zu helfen? – Auch das, Wurm.
    WURM bückt sich vergnügt. Ewig der Ihrige, gnädiger Herr. Er will gehen.
    PRÄSIDENT. Was ich Ihm vorhin vertraut habe, Wurm Drohend. Wenn Er plaudert –
    WURM lacht. So zeigen Ihr' Exzellenz meine falschen Handschriften auf Er geht ab.
    PRÄSIDENT. Zwar du bist mir gewiß. Ich halte dich an deiner eigenen Schurkerei, wie den Schröter am Faden!
    EIN KAMMERDIENER tritt herein. Hofmarschall von Kalb –
    PRÄSIDENT. Kommt, wie gerufen. – Er soll mir angenehm sein.
    Kammerdiener geht.

    Torna su

    Siebente Szene

    Ferdinand. Der Präsident. Wurm, welcher gleich abgeht.

    FERDINAND. Sie haben befohlen, gnädiger Herr Vater –
    PRÄSIDENT. Leider muß ich das, wenn ich meines Sohns einmal froh werden will – Laß Er uns allein, Wurm. – Ferdinand, ich beobachte dich schon eine Zeit lang und finde die offene rasche Jugend nicht mehr, die mich sonst so entzückt hat. Ein seltsamer Gram brütet auf deinem Gesicht – Du fliehst mich – Du fliehst deine Zirkel – Pfui! – Deinen Jahren verzeiht man zehn Ausschweifungen vor einer einzigen Grille. Überlaß diese mir, lieber Sohn. Mich laß an deinem Glück arbeiten, und denke auf nichts, als in meine Entwürfe zu spielen. – Komm! Umarme mich, Ferdinand.
    FERDINAND. Sie sind heute sehr gnädig, mein Vater.
    PRÄSIDENT. Heute, du Schalk – und dieses Heute noch mit der herben Grimasse? Ernsthaft. Ferdinand! – Wem zulieb hab ich die gefährliche Bahn zum Herzen des Fürsten betreten? Wem zulieb bin ich auf ewig mit meinem Gewissen und dem Himmel zerfallen? – Höre, Ferdinand – (Ich spreche mit meinem Sohn) – Wem hab ich durch die Hinwegräumung meines Vorgängers Platz gemacht – eine Geschichte, die desto blutiger in mein Inwendiges schneidet, je sorgfältiger ich das Messer der Welt verberge. Höre. Sage mir, Ferdinand: Wem tat ich dies alles?
    FERDINAND tritt mit Schrecken zurück. Doch mir nicht, mein Vater? Doch auf mich soll der blutige Widerschein dieses Frevels nicht fallen? Beim allmächtigen Gott! Es ist besser, gar nicht geboren sein, als dieser Missetat zur Ausrede dienen.
    PRÄSIDENT. Was war das? Was? Doch! ich will es dem Romanenkopfe zugut halten – Ferdinand – ich will mich nicht erhitzen, vorlauter Knabe – Lohnst du mir also für meine schlaflosen Nächte? Also für meine rastlose Sorge? Also für den ewigen Skorpion meines Gewissens? – Auf mich fällt die Last der Verantwortung – auf mich der Fluch, der Donner des Richters – Du empfängst dein Glück von der zweiten Hand – das Verbrechen klebt nicht am Erbe.
    FERDINAND streckt die rechte Hand gen Himmel. Feierlich entsag ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater erinnert.
    PRÄSIDENT. Höre, junger Mensch, bringe mich nicht auf. – Wenn es nach deinem Kopfe ginge, du kröchest dein Leben lang im Staube.
    FERDINAND. O, immer noch besser, Vater, als ich kröch um den Thron herum.
    PRÄSIDENT verbeißt seinen Zorn. Hum! – Zwingen muß man dich, dein Glück zu erkennen. Wo zehn andre mit aller Anstrengung nicht hinaufklimmen, wirst du spielend, im Schlafe gehoben. Du bist im zwölften Jahre Fähndrich. Im zwanzigsten Major. Ich hab es durchgesetzt beim Fürsten. Du wirst die Uniform ausziehen, und in das Ministerium eintreten. Der Fürst sprach vom Geheimenrat – Gesandtschaften – außerordentlichen Gnaden. Eine herrliche Aussicht dehnt sich vor dir. – Die ebene Straße zunächst nach dem Throne – zum Throne selbst, wenn anders die Gewalt soviel wert ist als ihre Zeichen – das begeistert dich nicht?
    FERDINAND. Weil meine Begriffe von Größe und Glück nicht ganz die Ihrigen sind – Ihre Glückseligkeit macht sich nur selten anders als durch Verderben bekannt. Neid, Furcht, Verwünschung sind die traurigen Spiegel, worin sich die Hoheit eines Herrschers belächelt. – Tränen, Flüche, Verzweiflung die entsetzliche Mahlzeit, woran diese gepriesenen Glücklichen schwelgen, von der sie betrunken aufstehen, und so in die Ewigkeit vor den Thron Gottes taumeln – Mein Ideal von Glück zieht sich genügsamer in mich selbst zurück. In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben. –
    PRÄSIDENT. Meisterhaft! Unverbesserlich! Herrlich! Nach dreißig Jahren die erste Vorlesung wieder! – Schade nur, daß mein fünfzigjähriger Kopf zu zäh für das Lernen ist! – Doch – dies seltne Talent nicht einrosten zu lassen, will ich dir jemand an die Seite geben, bei dem du dich in dieser buntscheckigen Tollheit nach Wunsch exerzieren kannst. – Du wirst dich entschließen – noch heute entschließen – eine Frau zu nehmen.
    FERDINAND tritt bestürzt zurück. Mein Vater?
    PRÄSIDENT. Ohne Komplimente – Ich habe der Lady Milford in deinem Namen eine Karte geschickt. Du wirst dich ohne Aufschub bequemen, dahin zu gehen und ihr zu sagen, daß du ihr Bräutigam bist.
    FERDINAND. Der Milford, mein Vater?
    PRÄSIDENT. Wenn sie dir bekannt ist –
    FERDINAND außer Fassung. Welcher Schandsäule im Herzogtum ist sie das nicht! – Aber ich bin wohl lächerlich, lieber Vater, daß ich Ihre Laune für Ernst aufnehme? Würden Sie Vater zu dem Schurken Sohne sein wollen, der eine privilegierte Buhlerin heuratete?
    PRÄSIDENT. Noch mehr. Ich würde selbst um sie werben, wenn sie einen Fünfziger möchte – Würdest du zu dem Schurken Vater nicht Sohn sein wollen?
    FERDINAND. Nein! So wahr Gott lebt!
    PRÄSIDENT. Eine Frechheit, bei meiner Ehre! die ich ihrer Seltenheit wegen vergebe –
    FERDINAND. Ich bitte Sie, Vater! lassen Sie mich nicht länger in einer Vermutung, wo es mir unerträglich wird, mich Ihren Sohn zu nennen.
    PRÄSIDENT. Junge, bist du toll? Welcher Mensch von Vernunft würde nicht nach der Distinktion geizen, mit seinem Landesherrn an einem dritten Orte zu wechseln?
    FERDINAND. Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater. Distinktion nennen Sie es – Distinktion, da mit dem Fürsten zu teilen, wo er auch unter den Menschen hinunterkriecht?
    Präsident schlägt ein Gelächter auf.
    FERDINAND. Sie können lachen – und ich will über das hinweggehen, Vater. Mit welchem Gesicht soll ich vor den schlechtesten Handwerker treten, der mit seiner Frau wenigstens doch einen ganzen Körper zum Mitgift bekommt? Mit welchem Gesicht vor die Welt? Vor den Fürsten? Mit welchem vor die Buhlerin selbst, die den Brandflecken ihrer Ehre in meiner Schande auswaschen würde?
    PRÄSIDENT. Wo in aller Welt bringst du das Maul her, Junge?
    FERDINAND. Ich beschwöre Sie bei Himmel und Erde! Vater, Sie können durch diese Hinwerfung Ihres einzigen Sohnes so glücklich nicht werden, als Sie ihn unglücklich machen. Ich gebe Ihnen mein Leben, wenn das Sie steigen machen kann. Mein Leben hab ich von Ihnen, ich werde keinen Augenblick anstehen, es ganz Ihrer Größe zu opfern. – Meine Ehre, Vater – wenn Sie mir diese nehmen, so war es ein leichtfertiges Schelmenstück, mir das Leben zu geben, und ich muß den Vater wie den Kuppler verfluchen.
    PRÄSIDENT freundlich, indem er ihn auf die Achsel klopft. Brav, lieber Sohn. Jetzt seh ich, daß du ein ganzer Kerl bist, und der besten Frau im Herzogtum würdig. – Sie soll dir werden – Noch diesen Mittag wirst du dich mit der Gräfin von Ostheim verloben.
    FERDINAND aufs neue betreten. Ist diese Stunde bestimmt, mich ganz zu zerschmettern?
    PRÄSIDENT einen laurenden Blick auf ihn werfend. Wo doch hoffentlich deine Ehre nichts einwenden wird?
    FERDINAND. Nein, mein Vater. Friederike von Ostheim könnte jeden andern zum Glücklichsten machen. Vor sich, in höchster Verwirrung. Was seine Bosheit an meinem Herzen noch ganz ließ, zerreißt seine Gute.
    PRÄSIDENT noch immer kein Aug von ihm wendend. Ich warte auf deine Dankbarkeit, Ferdinand –
    FERDINAND stürzt auf ihn zu und küßt ihm feurig die Hand. Vater! Ihre Gnade entflammt meine ganze Empfindung – Vater! meinen heißesten Dank für Ihre herzliche Meinung – Ihre Wahl ist untadelhaft – aber – ich kann – ich darf – Bedauern Sie mich – Ich kann die Gräfin nicht lieben.
    PRÄSIDENT tritt einen Schritt zurück. Holla! Jetzt hab ich den jungen Herrn. Also in diese Falle ging er, der listige Heuchler – Also es war nicht die Ehre, die dir die Lady verbot? – Es war nicht die Person, sondern die Heurat, die du verabscheutest?
    Ferdinand steht zuerst wie versteinert, dann fährt er auf und will fortrennen.
    PRÄSIDENT. Wohin? Halt! Ist das der Respekt, den du mir schuldig bist? Der Major kehrt zurück. Du bist bei der Lady gemeldet. Der Fürst hat mein Wort. Stadt und Hof wissen es richtig. – Wenn du mich zum Lügner machst, Junge – vor dem Fürsten – der Lady – der Stadt – dem Hof mich zum Lügner machst – Höre, Junge – oder wenn ich hinter gewisse Historien komme! – Halt! Holla! Was bläst so auf einmal das Feuer in deinen Wangen aus?
    FERDINAND schneeblaß und zitternd. Wie? Was? Es ist gewiß nichts, mein Vater!
    PRÄSIDENT einen fürchterlichen Blick auf ihn heftend. Und wenn es was ist – und wenn ich die Spur finden sollte, woher diese Widersetzlichkeit stammt? – – Ha, Junge! der bloße Verdacht schon bringt mich zum Rasen. Geh den Augenblick. Die Wachparade fängt an. Du wirst bei der Lady sein, sobald die Parole gegeben ist – Wenn ich auftrete, zittert ein Herzogtum. Laß doch sehen, ob mich ein Starrkopf von Sohn meistert. Er geht und kommt noch einmal wieder. Junge, ich sage dir, du wirst dort sein, oder fliehe meinen Zorn. Er geht ab.
    FERDINAND erwacht aus einer dumpfen Betäubung. Ist er weg? War das eines Vaters Stimme? – Ja, ich will zu ihr – will hin – will ihr Dinge sagen, will ihr einen Spiegel vorhalten – Nichtswürdige! und wenn du auch noch dann meine Hand verlangst – Im Angesicht des versammelten Adels, des Militärs und des Volks – Umgürte dich mit dem ganzen Stolz deines Englands – Ich verwerfe dich – ein teutscher Jüngling! Er eilt hinaus.

    Torna su
    Zweiter Akt

    Ein Saal im Palais der Lady Milford; zur rechten Hand steht ein Sofa, zur linken ein Flügel.

    Erste Szene

    Lady in einem freien, aber reizenden Negligé, die Haare noch unfrisiert, sitzt vor dem Flügel und phantasiert; Sophie, die Kammerjungfer, kommt von dem Fenster.

    SOPHIE. Die Offiziers gehen auseinander. Die Wachparade ist aus – aber ich sehe noch keinen Walter.
    LADY sehr unruhig, indem sie aufsteht und einen Gang durch den Saal macht. Ich weiß nicht, wie ich mich heute finde, Sophie – Ich bin noch nie so gewesen – Also du sahst ihn gar nicht? – Freilich wohl – Es wird ihm nicht eilen – Wie ein Verbrechen liegt es auf meiner Brust – Geh, Sophie – Man soll mir den wildesten Renner herausführen, der im Marstall ist. Ich muß ins Freie – Menschen sehen und blauen Himmel, und mich leichter reiten ums Herz herum.
    SOPHIE. Wenn Sie sich unpäßlich fühlen, Mylady – berufen Sie Assemblee hier zusammen. Lassen Sie den Herzog hier Tafel halten oder die l'Hombretische vor Ihren Sofa setzen. Mir sollte der Fürst und sein ganzer Hof zu Gebote stehn, und eine Grille im Kopfe surren?
    LADY wirft sich in den Sofa. Ich bitte, verschone mich. Ich gebe dir einen Demant für jede Stunde, wo ich sie mir vom Hals schaffen kann. Soll ich meine Zimmer mit diesem Volk tapezieren? – Das sind schlechte, erbärmliche Menschen, die sich entsetzen, wenn mir ein warmes, herzliches Wort entwischt, Mund und Nasen aufreißen, als sähen sie einen Geist – Sklaven eines einzigen Marionettendrahts, den ich leichter als mein Filet regiere. – Was fang ich mit Leuten an, deren Seelen so gleich als ihre Sackuhren gehen? Kann ich eine Freude dran finden, sie was zu fragen, wenn ich voraus weiß, was sie mir antworten werden? Oder Worte mit ihnen wechseln, wenn sie das Herz nicht haben, andrer Meinung als ich zu sein? – Weg mit ihnen! Es ist verdrüßlich, ein Roß zu reiten, das nicht auch in den Zügel beißt. Sie tritt zum Fenster.
    SOPHIE. Aber den Fürsten werden Sie doch ausnehmen, Lady? Den schönsten Mann – den feurigsten Liebhaber – den witzigsten Kopf in seinem ganzen Lande!
    LADY kommt zurück. Denn es ist sein Land – und nur ein Fürstentum, Sophie, kann meinem Geschmack zur erträglichen Ausrede dienen – Du sagst, man beneide mich. Armes Ding! Beklagen soll man mich vielmehr. Unter allen, die an den Brüsten der Majestät trinken, kommt die Favoritin am schlechtesten weg, weil sie allein dem großen und reichen Mann auf dem Bettelstabe begegnet. – Wahr ists, er kann mit dem Talisman seiner Größe jeden Gelust meines Herzens wie ein Feenschloß aus der Erde rufen. – Er setzt den Saft von zwei Indien auf die Tafel – ruft Paradiese aus Wildnissen – läßt die Quellen seines Landes in stolzen Bögen gen Himmel springen, oder das Mark seiner Untertanen in einem Feuerwerk hinpuffen – – Aber kann er auch seinem Herzen befehlen, gegen ein großes, feuriges Herz groß und feurig zu schlagen? Kann er sein darbendes Gehirn auf ein einziges schönes Gefühl exequieren? – Mein Herz hungert bei all dem Vollauf der Sinne, und was helfen mich tausend beßre Empfindungen, wo ich nur Wallungen löschen darf?
    SOPHIE blickt sie verwundernd an. Wie lang ist es denn aber, daß ich Ihnen diene, Mylady?
    LADY. Weil du erst heute mit mir bekannt wirst? – Es ist wahr, liebe Sophie – ich habe dem Fürsten meine Ehre verkauft, aber mein Herz habe ich frei behalten – ein Herz, meine Gute, das viel leicht eines Mannes noch wert ist – über welches der giftige Wind des Hofes nur wie der Hauch über den Spiegel ging – Trau es mir zu, meine Liebe, daß ich es längst gegen diesen armseligen Fürsten behauptet hätte, wenn ich es nur von meinem Ehrgeiz erhalten könnte, einer Dame am Hof den Rang vor mir einzuräumen.
    SOPHIE. Und dieses Herz unterwarf sich dem Ehrgeiz so gern?
    LADY lebhaft. Als wenn es sich nicht schon gerächt hätte! – Nicht jetzt noch sich rächte! – – Sophie Bedeutend, indem sie die Hand auf Sophiens Achselfallen läßt. Wir Frauenzimmer können nur zwischen Herrschen und Dienen wählen, aber die höchste Wonne der Gewalt ist doch nur ein elender Behelf, wenn uns die größere Wonne versagt wird, Sklavinnen eines Mannes zu sein, den wir lieben.
    SOPHIE. Eine Wahrheit, Mylady, die ich von Ihnen zuletzt hören wollte!
    LADY. Und warum, meine Sophie? Sieht man es denn dieser kindischen Führung des Zepters nicht an, daß wir nur für das Gängelband taugen? Sahst du es denn diesem launischen Flattersinn nicht an – diesen wilden Ergötzungen nicht an, daß sie nur wildere Wünsche in meiner Brust überlärmen sollten?
    SOPHIE tritt erstaunt zurück. Lady?
    LADY lebhafter. Befriedige diese! Gib mir den Mann, den ich jetzt denke – den ich anbete – sterben, Sophie, oder besitzen muß. Schmelzend. Laß mich aus seinem Mund es vernehmen, daß Tränen der Liebe schöner glänzen in unsern Augen als die Brillanten in unserm Haar, Feurig. und ich werfe dem Fürsten sein Herz und sein Fürstentum vor die Füße, fliehe mit diesem Mann, fliehe in die entlegenste Wüste der Welt – –
    SOPHIE blickt sie erschrocken an. Himmel! was machen Sie! Wie wird Ihnen, Lady?
    LADY bestürzt. Du entfärbst dich? – Hab ich vielleicht etwas zuviel gesagt? – O so laß mich deine Zunge mit meinem Zutrauen binden – höre noch mehr – höre alles –
    SOPHIE schaut sich ängstlich um. Ich fürchte, Mylady – ich fürchte – ich brauch es nicht mehr zu hören.
    LADY. Die Verbindung mit dem Major – Du und die Welt stehen im Wahn, sie sei eine Hofkabale – Sophie – erröte nicht – schäme dich meiner nicht – sie ist das Werk – meiner Liebe.
    SOPHIE. Bei Gott! Was mir ahndete!
    LADY. Sie ließen sich beschwatzen, Sophie – der schwache Fürst – der hofschlaue Walter – der alberne Marschall – Jeder von ihnen wird darauf schwören, daß diese Heurat das unfehlbarste Mittel sei, mich dem Herzog zu retten, unser Band um so fester zu knüpfen. – – Ja! es auf ewig zu trennen! auf ewig diese schändliche Ketten zu brechen! – Belogene Lügner! Von einem schwachen Weib überlistet! – Ihr selbst führt mir jetzt meinen Geliebten zu. Das war es ja nur, was ich wollte – Hab ich ihn einmal – hab ich ihn – o dann auf immer gute Nacht, abscheuliche Herrlichkeit –

    Torna su

    Zweite Szene

    Ein alter Kammerdiener des Fürsten, der ein Schmuckkästchen trägt.
    Die Vorigen.

    KAMMERDIENER. Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen sich Mylady zu Gnaden, und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen soeben erst aus Venedig.
    LADY hat das Kästchen geöffnet und fährt erschrocken zurück. Mensch! was bezahlt dein Herzog für diese Steine?
    KAMMERDIENER mit finsterm Gesicht. Sie kosten ihn keinen Heller.
    LADY. Was? Bist du rasend? Nichts? – und Indem sie einen Schritt von ihm wegtritt. du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wolltest – Nichts kosten ihn diese unermeßlich kostbaren Steine?
    KAMMERDIENER. Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika fort – Die zahlen alles.
    LADY setzt den Schmuck plötzlich nieder und geht rasch durch den Saal, nach einer Pause zum Kammerdiener. Mann, was ist dir? Ich glaube, du weinst?
    KAMMERDIENER wischt sich die Augen, mit schrecklicher Stimm, alle Glieder zitternd. Edelsteine wie diese da – Ich hab auch ein paar Söhne drunter.
    LADY wendet sich bebend weg, seine Hand fassend. Doch keinen Gezwungenen?
    KAMMERDIENER lacht fürchterlich. O Gott – Nein – lauter Freiwillige. Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch vor die Front heraus und fragten den Obersten, wie teuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe? – aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschieren und die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster sprützen, und die ganze Armee schrie: Juchhe nach Amerika! –
    LADY fällt mit Entsetzen in den Sofa. Gott! Gott! – Und ich hörte nichts? Und ich merkte nichts?
    KAMMERDIENER. Ja, gnädige Frau – warum mußtet Ihr denn mit unserm Herrn gerad auf die Bärenhatz reiten, als man den Lärmen zum Aufbruch schlug? – Die Herrlichkeit hättet Ihr doch nicht versäumen sollen, wie uns die gellenden Trommeln verkündigten, es ist Zeit, und heulende Waisen dort einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine wütende Mutter lief, ihr saugendes Kind an Bajonetten zu spießen, und wie man Bräutigam und Braut mit Säbelhieben auseinanderriß, und wir Graubärte verzweiflungsvoll dastanden und den Burschen auch zuletzt die Krücken noch nachwarfen in die neue Welt – Oh, und mitunter das polternde Wirbelschlagen, damit der Allwissende uns nicht sollte beten hören –
    LADY steht auf, heftig bewegt. Weg mir diesen Steinen – sie blitzen Höllenflammen in mein Herz. Sanfter zum Kammerdiener. Mäßige dich, armer alter Mann. Sie werden wiederkommen. Sie werden ihr Vaterland wiedersehen.
    KAMMERDIENER warm und voll. Das weiß der Himmel! Das werden sie! – Noch am Stadttor drehten sie sich um und schrien: »Gott mit euch, Weib und Kinder! – Es leb unser Landesvater – am Jüngsten Gericht sind wir wieder da!« –
    LADY mit starkem Schritt auf und niedergehend.
    Abscheulich! Fürchterlich! – Mich beredete man, ich habe sie alle getrocknet, die Tränen des Landes – Schrecklich, schrecklich gehen mir die Augen auf – Geh du – Sag deinem Herrn – Ich werd ihm persönlich danken. Kammerdiener will gehen, sie wirft ihm ihre Goldbörse in den Hut. Und das nimm, weil du mir Wahrheit sagtest –
    KAMMERDIENER wirft sie verächtlich auf den Tisch zurück. Legts zu dem übrigen. Er geht ab.
    LADY sieht ihm erstaunt nach. Sophie, spring ihm nach, frag ihn um seinen Namen. Er soll seine Söhne wiederhaben. Sophie ab. Lady nachdenkend auf und nieder. Pause. Zu Sophien, die wiederkommt. Ging nicht jüngst ein Gerüchte, daß das Feuer eine Stadt an der Grenze verwüstet, und bei vierhundert Familien an den Bettelstab gebracht habe? Sie klingelt.
    SOPHIE. Wie kommen Sie auf das? Allerdings ist es so, und die mehresten dieser Unglücklichen dienen jetzt ihren Gläubigern als Sklaven, oder verderben in den Schachten der fürstlichen Silberbergwerke.
    BEDIENTER kommt. Was befehlen Mylady?
    LADY gibt ihm den Schmuck. Daß das ohne Verzug in die Landschaft gebracht werde! – Man soll es sogleich zu Geld machen, befehl ich, und den Gewinst davon unter die Vierhundert verteilen, die der Brand ruiniert hat.
    SOPHIE. Mylady, bedenken Sie, daß Sie die höchste Ungnade wagen.
    LADY mit Größe. Soll ich den Fluch seines Landes in meinen Haaren tragen? Sie winkt dem Bedienten, dieser geht. Oder willst du, daß ich unter dem schrecklichen Geschirr solcher Tränen zu Boden sinke? – Geh, Sophie – Es ist besser, falsche Juwelen im Haar, und das Bewußtsein dieser Tat im Herzen zu haben.
    SOPHIE. Aber Juwelen wie diese! Hätten Sie nicht Ihre schlechtern nehmen können? Nein, wahrlich, Mylady! Es ist Ihnen nicht zu vergeben.
    LADY. Närrisches Mädchen! Dafür werden in einem Augenblick mehr Brillanten und Perlen für mich fallen, als zehen Könige in ihren Diademen getragen, und schönere –
    BEDIENTER kommt zurück. Major von Walter –
    SOPHIE springt auf die Lady zu. Gott! Sie verblassen –
    LADY. Der erste Mann, der mir Schrecken macht – Sophie – Ich sei unpäßlich, Eduard – Halt – Ist er aufgeräumt? Lacht er? Was spricht er? O Sophie! Nicht wahr, ich sehe häßlich aus?
    SOPHIE. Ich bitte Sie, Lady
    BEDIENTER. Befehlen Sie, daß ich ihn abweise?
    LADY stotternd. Er soll mir willkommen sein. Bedienter hinaus. Sprich, Sophie – Was sag ich ihm? Wie empfang ich ihn? – Ich werde stumm sein. – Er wird meiner Schwäche spotten – Er wird – o was ahndet mir – Du verlässest mich, Sophie? – Bleib – Doch nein! Gehe! – So bleib doch. Der Major kommt durch das Vorzimmer.
    SOPHIE. Sammeln Sie sich. Er ist schon da.

    Torna su

    Fünfte Szene

    Ferdinand von Walter stürzt erschrocken und außer Atem ins Zimmer.
    Die Vorigen.

    FERDINAND. War mein Vater da?
    LUISE fährt mit Schrecken auf. Sein Vater! Allmächtiger Gott!
    Zugleich.
    FRAU schlägt die Hände zusammen. Der Präsident! Es ist aus mit uns!
    MILLER lacht voll Bosheit. Gottlob! Gottlob! Da haben wir ja die Bescherung!
    FERDINAND eilt auf Luisen zu und drückt sie stark in die Arme. Mein bist du, und wärfen Höll und Himmel sich zwischen uns.
    LUISE. Mein Tod ist gewiß – Rede weiter – Du sprachst einen schrecklichen Namen aus – dein Vater?
    FERDINAND. Nichts. Nichts. Es ist überstanden. Ich hab dich ja wieder. Du hast mich ja wieder. O laß mich Atem schöpfen an dieser Brust. Es war eine schreckliche Stunde.
    LUISE. Welche? Du tötest mich!
    FERDINAND tritt zurück und schaut sie bedeutend an. Eine Stunde, Luise, wo zwischen mein Herz und dich eine fremde Gestalt sich warf – wo meine Liebe vor meinem Gewissen erblaßte – wo meine Luise aufhörte, ihrem Ferdinand alles zu sein – –
    Luise sinkt mit verhülltem Gesicht auf den Sessel nieder.
    FERDINAND geht schnell auf sie zu, bleibt sprachlos mit starrem Blick vor ihr stehen, dann verläßt er sie plötzlich, in großer Bewegung. Nein! Nimmermehr! Unmöglich, Lady! Zuviel verlangt! Ich kann dir diese Unschuld nicht opfern – Nein, beim unendlichen Gott! ich kann meinen Eid nicht verletzen, der mich laut wie des Himmels Donner aus diesem brechenden Auge mahnt – Lady, blick hieher – hieher, du Rabenvater – Ich soll diesen Engel würgen? Die Hölle soll ich in diesen himmlischen Busen schütten? Mit Entschluß auf sie zueilend. Ich will sie führen vor des Weltrichters Thron, und ob meine Liebe Verbrechen ist, soll der Ewige sagen. Er faßt sie bei der Hand und hebt sie vom Sessel. Fasse Mut, meine Teuerste! – Du hast gewonnen. Als Sieger komm ich aus dem gefährlichsten Kampf zurück.
    LUISE. Nein! Nein! Verhehle mir nichts! Sprich es aus, das entsetzliche Urteil. Deinen Vater nanntest du? Du nanntest die Lady? – Schauer des Todes ergreifen mich – Man sagt, sie wird heiraten.
    FERDINAND stürzt betäubt zu Luisens Füßen nieder. Mich, Unglückselige!
    LUISE nach einer Pause, mit stillem, bebendem Ton und schrecklicher Ruhe. Nun – was erschreck ich denn? – Der alte Mann dort hat mirs ja oft gesagt – ich hab es ihm nie glauben wollen. Pause. Dann wirft sie sich Millern laut weinend in den Arm. Vater, hier ist deine Tochter wieder – Verzeihung, Vater – Dein Kind kann ja nicht dafür, daß dieser Traum so schön war, und – – so fürchterlich jetzt das Erwachen –
    MILLER. Luise! Luise! – O Gott, sie ist von sich – Meine Tochter, mein armes Kind – Fluch über den Verführer! – Fluch über das Weib, das ihm kuppelte!
    FRAU wirft sich jammernd auf Luisen. Verdien ich diesen Fluch, meine Tochter? Vergebs Ihnen Gott, Baron – Was hat dieses Lamm getan, daß Sie es würgen?
    FERDINAND springt an ihr auf, voll Entschlossenheit. Aber ich will seine Kabalen durchbohren – durchreißen will ich alle diese eiserne Ketten des Vorurteils – Frei wie ein Mann will ich wählen, daß diese Insektenseelen am Riesenwerk meiner Liebe hinaufschwindeln. Er will fort.
    LUISE zittert vom Sessel auf, folgt ihm. Bleib! Bleib! Wohin willst du? – Vater – Mutter – in dieser bangen Stunde verläßt er uns?
    FRAU eilt ihm nach, hängt sich an ihn. Der Präsident wird hieherkommen – Er wird unser Kind mißhandeln – Er wird uns mißhandeln – Herr von Walter, und Sie verlassen uns?
    MILLER lacht wütend. Verläßt uns! Freilich! Warum nicht? – Sie gab ihm ja alles hin! Mit der einen Hand den Major, mit der andern Luisen fassend. Geduld, Herr! der Weg aus meinem Hause geht nur über diese da – Erwarte erst deinen Vater, wenn du kein Bube bist – Erzähl es ihm, wie du dich in ihr Herz stahlst, Betrüger, oder bei Gott, Ihm seine Tochter zuschleudernd, wild und heftig. du sollst mir zuvor diesen wimmernden Wurm zertreten, den Liebe zu dir so zuschanden richtete.
    FERDINAND kommt zurück und geht auf und ab in tiefen Gedanken. Zwar die Gewalt des Präsidenten ist groß – Vaterrecht ist ein weites Wort – der Frevel selbst kann sich in seinen Falten verstecken – er kann es weit damit treiben – Weit! – Doch aufs Äußerste treibts nur die Liebe – Hier, Luise! Deine Hand in die meinige Er faßt diese heftig. So wahr mich Gott im letzten Hauch nicht verlassen soll! – Der Augenblick, der diese zwo Hände trennt, zerreißt auch den Faden zwischen mir und der Schöpfung.
    LUISE. Mir wird bange! Blick weg! Deine Lippen beben. Dein Auge rollt fürchterlich –
    FERDINAND. Nein, Luise. Zittre nicht. Es ist nicht Wahnsinn, was aus mir redet. Es ist das köstliche Geschenk des Himmels, Entschluß in dem geltenden Augenblick, wo die gepreßte Brust nur durch etwas Unerhörtes sich Luft macht – Ich liebe dich, Luise – Du sollst mir bleiben, Luise – Jetzt zu meinem Vater! Er eilt schnell fort und rennt – gegen den Präsidenten.

    Torna su

    Sechste Szene

    Der Präsident mit einem Gefolge von Bedienten. Vorige.

    PRÄSIDENT im Hereintreten. Da ist er schon.

    Alle erschrocken.

    FERDINAND weicht einige Schritte zurücke. Im Hause der Unschuld.
    PRÄSIDENT. Wo der Sohn Gehorsam gegen den Vater lernt?
    FERDINAND. Lassen Sie uns das – –
    PRÄSIDENT unterbricht ihn, zu Millern. Er ist der Vater?
    MILLER. Stadtmusikant Miller.
    PRÄSIDENT zur Frau. Sie die Mutter?
    FRAU. Ach ja! die Mutter.
    FERDINAND zu Millern. Vater, bring Er die Tochter weg – Sie droht eine Ohnmacht.
    PRÄSIDENT. Überflüssige Sorgfalt. Ich will sie anstreichen. Zu Luisen. Wie lang kennt Sie den Sohn des Präsidenten?
    LUISE. Diesem habe ich nie nachgefragt. Ferdinand von Walter besucht mich seit dem November.
    FERDINAND. Betet sie an.
    PRÄSIDENT. Erhielt Sie Versicherungen?
    FERDINAND. Vor wenigen Augenblicken die feierlichste im Angesicht Gottes.
    PRÄSIDENT zornig zu seinem Sohn. Zur Beichte deiner Torheit wird man dir schon das Zeichen geben. Zu Luisen. Ich warte auf Antwort.
    LUISE. Er schwur mir Liebe.
    FERDINAND. Und wird sie halten.
    PRÄSIDENT. Muß ich befehlen, daß du schweigst? – Nahm Sie den Schwur an?
    LUISE zärtlich. Ich erwiderte ihn.
    FERDINAND mit fester Stimme. Der Bund ist geschlossen.
    PRÄSIDENT. Ich werde das Echo hinauswerfen lassen. Boshaft zu Luisen. Aber er bezahlte Sie doch jederzeit bar?
    LUISE aufmerksam. Diese Frage verstehe ich nicht ganz.
    PRÄSIDENT mit beißendem Lachen. Nicht? Nun! ich meine nur – Jedes Handwerk hat, wie man sagt, seinen goldenen Boden – auch Sie, hoff ich, wird Ihre Gunst nicht verschenkt haben – oder wars Ihr vielleicht mit dem bloßen Verschluß gedient? Wie?
    FERDINAND fährt wie rasend auf. Hölle! was war das?
    LUISE zum Major mit Würde und Unwillen. Herr von Walter, jetzt sind Sie frei.
    FERDINAND. Vater! Ehrfurcht. befiehlt die Tugend auch im Bettlerkleid.
    PRÄSIDENT lacht lauter. Eine lustige Zumutung! Der Vater soll die Hure des Sohns respektieren.
    LUISE stürzt nieder. O Himmel und Erde!
    FERDINAND mit Luisen zu gleicher Zeit, indem er den Degen nach dem Präsidenten zückt, den er aber schnell wieder sinken läßt. Vater! Sie hatten einmal ein Leben an mich zu fodern – Es ist bezahlt. Den Degen einsteckend. Der Schuldbrief der kindlichen Pflicht liegt zerrissen da –
    MILLER der bis jetzt furchtsam auf der Seite gestanden, tritt hervor in Bewegung, wechselsweis für Wut mit den Zähnen knirschend und für Angst damit klappernd. Euer Exzellenz – Das Kind ist des Vaters Arbeit – Halten zu Gnaden – Wer das Kind eine Mähre schilt, schlägt den Vater ans Ohr, und Ohrfeig um Ohrfeig – Das ist so Tax bei uns – Halten zu Gnaden.
    FRAU. Hilf, Herr und Heiland! – Jetzt bricht auch der Alte los – über unserm Kopf wird das Wetter zusammenschlagen.
    PRÄSIDENT der es nur halb gehört hat. Regt sich der Kuppler auch? – Wir sprechen uns gleich, Kuppler.
    MILLER. Halten zu Gnaden. Ich heiße Miller, wenn Sie ein Adagio hören wollen – mit Buhlschaften dien ich nicht. Solang der Hof da noch Vorrat hat, kommt die Lieferung nicht an uns Bürgersleut. Halten zu Gnaden.
    FRAU. Um des Himmels willen, Mann! Du bringst Weib und Kind um.
    FERDINAND. Sie spielen hier eine Rolle, mein Vater, wobei Sie sich wenigstens die Zeugen hätten ersparen können.
    MILLER kommt ihm näher, herzhafter. Teutsch und verständlich. Halten zu Gnaden. Euer Exzellenz schalten und walten im Land. Das ist meine Stube. Mein devotestes Kompliment, wenn ich dermaleins ein Promemoria bringe, aber den ungehobelten Gast werf ich zur Tür hinaus – Halten zu Gnaden.
    PRÄSIDENT vor Wut blaß. Was? – Was ist das?

    Tritt ihm näher.

    MILLER zieht sich sachte zurück. Das war nur so meine Meinung, Herr – Halten zu Gnaden.
    PRÄSIDENT in Flammen. Ha, Spitzbube! Ins Zuchthaus spricht dich deine vermessene Meinung – Fort! Man soll Gerichtsdiener holen. Einige vom Gefolg gehen ab; der Präsident rennt voll Wut durch das Zimmer. Vater ins Zuchthaus – an den Pranger Mutter und Metze von Tochter! – Die Gerechtigkeit soll meiner Wut ihre Arme borgen. Für diesen Schimpf muß ich schreckliche Genugtuung haben – Ein solches Gesindel sollte meine Plane zerschlagen, und ungestraft Vater und Sohn aneinander hetzen? – Ha, Verfluchte! Ich will meinen Haß an eurem Untergang sättigen, die ganze Brut, Vater, Mutter und Tochter, will ich meiner brennenden Rache opfern.
    FERDINAND tritt gelassen und standhaft unter sie hin. O nicht doch! Seid außer Furcht! Ich bin zugegen. Zum Präsidenten mit Unterwürfigkeit. Keine Übereilung, mein Vater! Wenn Sie sich selbst lieben, keine Gewalttätigkeit – Es gibt eine Gegend in meinem Herzen, worin das Wort Vater noch nie gehört worden ist – Dringen Sie nicht bis in diese.
    PRÄSIDENT. Nichtswürdiger! Schweig! Reize meinen Grimm nicht noch mehr.
    MILLER kommt aus einer dumpfen Betäubung zu sich selbst. Schau du nach deinem Kinde, Frau. Ich laufe zum Herzog – Der Leibschneider – das hat mir Gott – eingeblasen! der Leibschneider lernt die Flöte bei mir. Es kann mir nicht fehlen beim Herzog. Er will gehen.
    PRÄSIDENT. Beim Herzog, sagst du? – Hast du vergessen, daß ich die Schwelle bin, worüber du springen oder den Hals brechen mußt? – Beim Herzog, du Dummkopf? – Versuch es, wenn du, lebendig tot, eine Turmhöhe tief unter dem Boden im Kerker liegst, wo die Nacht mit der Hölle liebäugelt, und Schall und Licht wieder umkehren, raßle dann mit deinen Ketten und wimmre: Mir ist zuviel geschehen!

    Torna su

    Siebente Szene

    Gerichtsdiener. Die Vorigen.

    FERDINAND eilt auf Luisen zu, die ihm halbtot in den Arm fällt. Luise! Hilfe! Rettung! Der Schrecken überwältigte sie.
    Miller ergreift sein spanisches Rohr, setzt den Hut auf und macht sich zum Angriff gefaßt.
    Frau wirft sich auf die Knie vor den Präsident.
    PRÄSIDENT zu den Gerichtsdienern, seinen Orden entblößend. Legt Hand an im Namen des Herzogs – Weg von der Metze, Junge – Ohnmächtig oder nicht – Wenn sie nur erst das eiserne Halsband um hat, wird man sie schon mit Steinwürfen aufwecken.
    FRAU. Erbarmung, Ihro Exzellenz! Erbarmung! Erbarmung!
    MILLER reißt seine Frau in die Höhe. Knie vor Gott, alte Heulhure, und nicht vor – – Schelmen, weil ich ja doch schon ins Zuchthaus muß.
    PRÄSIDENT beißt die Lippen. Du kannst dich verrechnen, Bube. Es stehen noch Galgen leer. Zu den Gerichtsdienern. Muß ich es noch einmal sagen?
    Gerichtsdiener dringen auf Luisen ein.
    FERDINAND springt an ihr auf und stellt sich vor sie, grimmig. Wer will was? Er zieht den Degen samt der Scheide und wehrt sich mit dem Gefäß. Wag es, sie anzurühren, wer nicht auch die Hirnschale an die Gerichte vermietet hat. Zum Präsidenten. Schonen Sie Ihrer selbst. Treiben Sie mich nicht weiter, mein Vater.
    PRÄSIDENT drohend zu den Gerichtsdienern. Wenn euch euer Brot lieb ist, Memmen –
    Gerichtsdiener greifen Luisen wieder an.
    FERDINAND. Tod und alle Teufel! Ich sage: Zurück – Noch einmal. Haben Sie Erbarmen mit sich selbst. Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Vater.
    PRÄSIDENT aufgebracht zu den Gerichtsdienern. Ist das euer Diensteifer, Schurken?

    Gerichtsdiener greifen hitziger an.

    FERDINAND. Wenn es denn sein muß Indem er den Degen zieht und einige von denselben verwundet, so verzeih mir, Gerechtigkeit!
    PRÄSIDENT voll Zorn. Ich will doch sehen, ob auch ich diesen Degen fühle. Er faßt Luisen selbst, zerrt sie in die Höh und übergibt sie einem Gerichtsknecht.
    FERDINAND lacht erbittert. Vater, Vater, Sie machen hier ein beißendes Pasquill auf die Gottheit, die sich so übel auf ihre Leute verstund und aus vollkommenen Henkersknechten schlechte Minister machte.
    PRÄSIDENT zu den übrigen. Fort mit ihr!
    FERDINAND. Vater, sie soll an dem Pranger stehn, aber mit dem Major, des Präsidenten Sohn – Bestehen Sie noch darauf?
    PRÄSIDENT. Desto possierlicher wird das Spektakel – Fort!
    FERDINAND. Vater! ich werfe meinen Offiziersdegen auf das Mädchen – Bestehen Sie noch darauf?
    PRÄSIDENT. Das Portepee ist an deiner Seite des Prangerstehens gewohnt worden – Fort! Fort! Ihr wißt meinen Willen.
    FERDINAND drückt einen Gerichtsdiener weg, faßt Luisen mit einem Arm, mit dem andern zückt er den Degen auf sie. Vater! Eh Sie meine Gemahlin beschimpfen, durchstoß ich sie – Bestehen Sie noch darauf?
    PRÄSIDENT. Tu es, wenn deine Klinge auch spitzig ist.
    FERDINAND läßt Luisen fahren und blickt fürchterlich zum Himmel. Du, Allmächtiger, bist Zeuge! Kein menschliches Mittel ließ ich unversucht – ich muß zu einem teuflischen schreiten – Ihr führt sie zum Pranger fort, unterdessen Zum Präsidenten ins Ohr rufend. erzähl ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird. Ab.
    PRÄSIDENT wie vom Blitz gerührt. Was ist das? – Ferdinand – Laßt sie ledig! Er eilt dem Major nach.

    Torna su
    Dritter Akt

    Erste Szene

    Saal beim Präsidenten.
    Der Präsident und Sekretär Wurm kommen.

    PRÄSIDENT. Der Streich war verwünscht.
    WURM. Wie ich befürchtete, gnädiger Herr. Zwang erbittert die Schwärmer immer, aber bekehrt sie nie.
    PRÄSIDENT. Ich hatte mein bestes Vertrauen in diesen Anschlag gesetzt. Ich urteilte so: Wenn das Mädchen beschimpft wird, muß er, als Offizier, zurücktreten.
    WURM. Ganz vortrefflich. Aber zum Beschimpfen hätt es auch kommen sollen.
    PRÄSIDENT. Und doch – wenn ich es jetzt mit kaltem Blut überdenke – Ich hätte mich nicht sollen eintreiben lassen. Es war eine Drohung, woraus er wohl nimmermehr Ernst gemacht hätte.
    WURM. Das denken Sie ja nicht. Der gereizten Leidenschaft ist keine Torheit zu bunt. Sie sagen mir, der Herr Major habe immer den Kopf zu Ihrer Regierung geschüttelt. Ich glaubs. Die Grundsätze, die er aus Akademien hieher brachte, wollten mir gleich nicht recht einleuchten. Was sollten auch die phantastischen Träumereien von Seelengröße und persönlichem Adel an einem Hof, wo die größte Weisheit diejenige ist, im rechten Tempo, auf eine geschickte Art, groß und klein zu sein. Er ist zu jung und zu feurig, um Geschmack am langsamen, krummen Gang der Kabale zu finden, und nichts wird seine Ambition in Bewegung setzen, als was groß ist und abenteuerlich.
    PRÄSIDENT verdrüßlich. Aber was wird diese wohlweise Anmerkung an unserm Handel verbessern?
    WURM. Sie wird Euer Exzellenz auf die Wunde hinweisen und auch vielleicht auf den Verband. Einen solchen Charakter – erlauben Sie – hätte man entweder nie zum Vertrauten, oder niemals zum Feind machen sollen. Er verabscheut das Mittel, wodurch Sie gestiegen sind. Vielleicht war es bis jetzt nur der Sohn, der die Zunge des Verräters band. Geben Sie ihm Gelegenheit, jenen rechtmäßig abzuschütteln. Machen Sie ihn durch wiederholte Stürme auf seine Leidenschaft glauben, daß Sie der zärtliche Vater nicht sind, so dringen die Pflichten des Patrioten bei ihm vor. Ja, schon allein die seltsame Phantasie, der Gerechtigkeit ein so merkwürdiges Opfer zu bringen, könnte Reiz genug für ihn haben, selbst seinen Vater zu stürzen.
    PRÄSIDENT. Wurm – Wurm – Er führt mich da vor einen entsetzlichen Abgrund.
    WURM. Ich will sie zurückführen, gnädiger Herr. Darf ich freimütig reden?
    PRÄSIDENT indem er sich niedersetzt. Wie ein Verdammter zum Mitverdammten.
    WURM. Also verzeihen Sie – Sie haben, dünkt mich, der biegsamen Hofkunst den ganzen Präsidenten zu danken, warum vertrauten Sie ihr nicht auch den Vater an? Ich besinne mich, mit welcher Offenheit Sie Ihren Vorgänger damals zu einer Partie Piquet beredeten, und bei ihm die halbe Nacht mit freundschaftlichem Burgunder hinwegschwemmten, und das war doch die nämliche Nacht, wo die große Mine losgehen und den guten Mann in die Luft blasen sollte – Warum zeigten Sie Ihrem Sohne den Feind? Nimmermehr hätte dieser erfahren sollen, daß ich um seine Liebesangelegenheit wisse. Sie hätten den Roman von Seiten des Mädchens unterhöhlt, und das Herz Ihres Sohnes behalten. Sie hätten den klugen General gespielt, der den Feind nicht am Kern seiner Truppen faßt, sondern Spaltungen unter den Gliedern stiftet.
    PRÄSIDENT. Wie war das zu machen?
    WURM. Auf die einfachste Art – und die Karten sind noch nicht ganz vergeben. Unterdrücken Sie eine Zeit lang, daß Sie Vater sind. Messen Sie sich mit einer Leidenschaft nicht, die jeder Widerstand nur mächtiger machte – Überlassen Sie es mir, an ihrem eigenen Feuer den Wurm auszubrüten, der sie zerfrißt.
    PRÄSIDENT. Ich bin begierig.
    WURM. Ich müßte mich schlecht auf den Barometer der Seele verstehen, oder der Herr Major ist in der Eifersucht schrecklich wie in der Liebe. Machen Sie ihm das Mädchen verdächtig – – Wahrscheinlich oder nicht. Ein Gran Hefe reicht hin, die ganze Masse in eine zerstörende Gärung zu jagen.
    PRÄSIDENT. Aber woher diesen Gran nehmen?
    WURM. Da sind wir auf dem Punkt – Vor allen Dingen, gnädiger Herr, erklären Sie sich mir, wieviel Sie bei der fernern Weigerung des Majors auf dem Spiel haben – in welchem Grade es Ihnen wichtig ist, den Roman mit dem Bürgermädchen zu endigen, und die Verbindung mit Lady Milford zustand zu bringen?
    PRÄSIDENT. Kann Er noch fragen, Wurm? – Mein ganzer Einfluß ist in Gefahr, wenn die Partie mit der Lady zurückgeht, und wenn ich den Major zwinge, mein Hals.
    WURM munter. Jetzt haben Sie die Gnade und hören. – Den Herrn Major umspinnen wir mit List. Gegen das Mädchen nehmen wir Ihre ganze Gewalt zu Hilfe. Wir diktieren ihr ein Billetdoux an eine dritte Person in die Feder, und spielen das mit guter Art dem Major in die Hände.
    PRÄSIDENT. Toller Einfall! Als ob sie sich so geschwind hin bequemen würde, ihr eigenes Todesurteil zu schreiben?
    WURM. Sie muß, wenn Sie mir freie Hand lassen wollen. Ich kenne das gute Herz auf und nieder. Sie hat nicht mehr als zwo tödliche Seiten, durch welche wir ihr Gewissen bestürmen können – ihren Vater und den Major. Der letztere bleibt ganz und gar aus dem Spiel, desto freier können wir mit dem Musikanten umspringen.
    PRÄSIDENT. Als zum Exempel?
    WURM. Nach dem, was Euer Exzellenz mir von dem Auftritt in seinem Hause gesagt haben, wird nichts leichter sein, als den Vater mit einem Halsprozeß zu bedrohen. Die Person des Günstlings und Siegelbewahrers ist gewissermaßen der Schatten der Majestät – Beleidigungen gegen jenen sind Verletzungen dieser – Wenigstens will ich den armen Schächer mit diesem zusammengeflickten Kobold durch ein Nadelöhr jagen.
    PRÄSIDENT. Doch – ernsthaft dürfte der Handel nicht werden.
    WURM. Ganz und gar nicht – Nur insoweit als es nötig ist, die Familie in die Klemme zu treiben – Wir setzen also in aller Stille den Musikus fest – Die Not um so dringender zu machen, könnte man auch die Mutter mitnehmen, – sprechen von peinlicher Anklage, von Schafott, von ewiger Festung, und machen den Brief der Tochter zur einzigen Bedingnis seiner Befreiung.
    PRÄSIDENT. Gut! Gut! Ich verstehe.
    WURM. Sie liebt ihren Vater – bis zur Leidenschaft möcht ich sagen. Die Gefahr seines Lebens – seiner Freiheit zum mindesten – Die Vorwürfe ihres Gewissens, den Anlaß dazu gegeben zu haben – Die Unmöglichkeit, den Major zu besitzen – endlich die Betäubung ihres Kopfs, die ich auf mich nehme – Es kann nicht fehlen – Sie muß in die Falle gehn.
    PRÄSIDENT. Aber mein Sohn? Wird der nicht auf der Stelle Wind davon haben? Wird er nicht wütender werden?
    WURM. Das lassen Sie meine Sorge sein, gnädiger Herr – Vater und Mutter werden nicht eher freigelassen, bis die ganze Familie einen körperlichen Eid darauf abgelegt, den ganzen Vorgang geheimzuhalten und den Betrug zu bestätigen.
    PRÄSIDENT. Einen Eid? Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf?
    WURM. Nichts bei uns, gnädiger Herr. Bei dieser Menschenart alles – Und sehen Sie nun, wie schön wir beide auf diese Manier zum Ziel kommen werden – Das Mädchen verliert die Liebe des Majors und den Ruf ihrer Tugend. Vater und Mutter ziehen gelindere Saiten auf, und durch und durch weich gemacht von Schicksalen dieser Art, erkennen sies noch zuletzt für Erbarmung, wenn ich der Tochter durch meine Hand ihre Reputation wiedergebe.
    PRÄSIDENT lacht unter Kopfschütteln. Ja! ich gebe mich dir überwunden, Schurke. Das Geweb ist satanisch fein. Der Schüler übertrifft seinen Meister – – Nun ist die Frage, an wen das Billett muß gerichtet werden? Mit wem wir sie in Verdacht bringen müssen?
    WURM. Notwendig mit jemand, der durch den Entschluß Ihres Sohnes alles gewinnen oder alles verlieren muß.
    PRÄSIDENT nach einigem Nachdenken. Ich weiß nur den Hofmarschall.
    WURM zuckt die Achseln. Mein Geschmack wär er nun freilich nicht, wenn ich Luise Millerin hieße.
    PRÄSIDENT. Und warum nicht? Wunderlich! Eine blendende Garderobe – eine Atmosphäre von Eau de mille fleurs und Bisam – auf jedes alberne Wort eine Handvoll Dukaten – und alles das sollte die Delikatesse einer bürgerlichen Dirne nicht endlich bestechen können? – O guter Freund. So skrupulös ist die Eifersucht nicht. Ich schicke zum Marschall. Klingelt.
    WURM. Unterdessen, daß Euer Exzellenz dieses und die Gefangennehmung des Geigers besorgen, werd ich hingehen und den bewußten Liebesbrief aufsetzen.
    PRÄSIDENT zum Schreibpult gehend. Den Er mir zum Durchlesen herauf bringt, sobald es zustand sein wird. Wurm geht ab. Der Präsident setzt sich zu schreiben; ein Kammerdiener kommt; er steht auf und gibt ihm ein Papier. Dieser Verhaftsbefehl muß ohne Aufschub in die Gerichte – ein andrer von euch wird den Hofmarschall zu mir bitten.
    KAMMERDIENER. Der gnädige Herr sind soeben hier angefahren.
    PRÄSIDENT. Noch besser – Aber die Anstalten sollen mit Vorsicht getroffen werden, sagt Ihr, daß kein Aufstand erfolgt.
    KAMMERDIENER. Sehr wohl, Ihr' Exzellenz!
    PRÄSIDENT. Versteht Ihr? Ganz in der Stille.
    KAMMERDIENER. Ganz gut, Ihr' Exzellenz. Ab.

    Torna su

    Vierte Szene

    Zimmer in Millers Wohnung.
    Luise und Ferdinand.

    LUISE. Ich bitte dich, höre auf. Ich glaube an keine glückliche Tage mehr. Alle meine Hoffnungen sind gesunken.
    FERDINAND. So sind die meinigen gestiegen. Mein Vater ist aufgereizt. Mein Vater wird alle Geschütze gegen uns richten. Er wird mich zwingen, den unmenschlichen Sohn zu machen. Ich stehe nicht mehr für meine kindliche Pflicht. Wut und Verzweiflung werden mir das schwarze Geheimnis seiner Mordtat erpressen. Der Sohn wird den Vater in die Hände des Henkers liefern – Es ist die höchste Gefahr – – und die höchste Gefahr mußte da sein, wenn meine Liebe den Riesensprung wagen sollte. – – Höre, Luise – ein Gedanke, groß und vermessen wie meine Leidenschaft, drängt sich vor meine Seele – Du, Luise, und ich und die Liebe! – – Liegt nicht in diesem Zirkel der ganze Himmel? oder brauchst du noch etwas Viertes dazu?
    LUISE. Brich ab. Nichts mehr. Ich erblasse über das, was du sagen willst.
    FERDINAND. Haben wir an die Welt keine Foderung mehr, warum denn ihren Beifall erbetteln? Warum wagen, wo nichts gewonnen wird und alles verloren werden kann? – Wird dieses Aug nicht ebenso schmelzend funkeln, ob es im Rhein oder in der Elbe sich spiegelt oder im Baltischen Meer? Mein Vaterland ist, wo mich Luise liebt. Deine Fußtapfe in wilden, sandigten Wüsten mir interessanter als das Münster in meiner Heimat – Werden wir die Pracht der Städte vermissen? Wo wir sein mögen, Luise, geht eine Sonne auf, eine unter – Schauspiele, neben welchen der üppigste Schwung der Künste verblaßt. Werden wir Gott in keinem Tempel mehr dienen, so ziehet die Nacht mit begeisternden Schauern auf, der wechselnde Mond predigt uns Buße, und eine andächtige Kirche von Sternen betet mit uns. Werden wir uns in Gesprächen der Liebe erschöpfen? – Ein Lächeln meiner Luise ist Stoff für Jahrhunderte, und der Traum des Lebens ist aus, bis ich diese Träne ergründe.
    LUISE. Und hättest du sonst keine Pflicht mehr als deine Liebe?
    FERDINAND sie umarmend. Deine Ruhe ist meine heiligste.
    LUISE sehr ernsthaft. So schweig und verlaß mich – Ich habe einen Vater, der kein Vermögen hat als diese einzige Tochter- der morgen sechzig alt wird – der der Rache des Präsidenten gewiß ist. –
    FERDINAND fällt rasch ein. Der uns begleiten wird. Darum keinen Einwurf mehr, Liebe. Ich gehe, mache meine Kostbarkeiten zu Geld, erhebe Summen auf meinen Vater. Es ist erlaubt, einen Räuber zu plündern, und sind seine Schätze nicht Blutgeld des Vaterlands? – Schlag ein Uhr um Mitternacht wird ein Wagen hier anfahren. Ihr werft euch hinein. Wir fliehen.
    LUISE. Und der Fluch deines Vaters uns nach, – ein Fluch, Unbesonnener, den auch Mörder nie ohne Erhörung aussprechen, den die Rache des Himmels auch dem Dieb auf dem Rade hält, der uns Flüchtlinge, unbarmherzig wie ein Gespenst, von Meer zu Meer jagen würde? – Nein, mein Geliebter! Wenn nur ein Frevel dich mir erhalten kann, so hab ich noch Stärke, dich zu verlieren.
    FERDINAND steht still und murmelt düster. Wirklich?
    LUISE. Verlieren! – O ohne Grenzen entsetzlich ist der Gedanke – Gräßlich genug, den unsterblichen Geist zu durchbohren, und die glühende Wange der Freude zu bleichen – Ferdinand! dich zu verlieren! – Doch! man verliert ja nur, was man besessen hat, und dein Herz gehört deinem Stande – Mein Anspruch war Kirchenraub, und schauernd geb ich ihn auf.
    FERDINAND das Gesicht verzerrt und an der Unterlippe nagend. Gibst du ihn auf.
    LUISE. Nein! Sieh mich an, lieber Walter. Nicht so bitter die Zähne geknirscht. Komm! Laß mich jetzt deinen sterbenden Mut durch mein Beispiel beleben. Laß mich die Heldin dieses Augenblicks sein – einem Vater den entflohenen Sohn wiederschenken – einem Bündnis entsagen, das die Fugen der Bürgerwelt auseinandertreiben, und die allgemeine ewige Ordnung zugrund stürzen würde – Ich bin die Verbrecherin – mit frechen, törichten Wünschen hat sich mein Busen getragen – mein Unglück ist meine Strafe, so laß mir doch jetzt die süße, schmeichelnde Täuschung, daß es mein Opfer war – Wirst du mir diese Wollust mißgönnen?
    Ferdinand hat in der Zerstreuung und Wut eine Violine ergriffen und auf derselben zu spielen versucht – Jetzt zerreißt er die Saiten, zerschmettert das Instrument auf dem Boden und bricht in ein lautes Gelächter aus.
    LUISE. Walter! Gott im Himmel! Was soll das? – Ermanne dich. Fassung verlangt diese Stunde – es ist eine trennende. Du hast ein Herz, lieber Walter. Ich kenne es. Warm wie das Leben ist deine Liebe und ohne Schranken wie's Unermeßliche – Schenke sie einer Edeln und Würdigern – sie wird die Glücklichsten ihres Geschlechts nicht beneiden – – Tränen unterdrückend. mich sollst du nicht mehr sehn – Das eitle betrogene Mädchen verweine seinen Gram in einsamen Mauren, um seine Tränen wird sich niemand bekümmern – Leer und erstorben ist meine Zukunft – Doch werd ich noch je und je am verwelkten Strauß der Vergangenheit riechen. Indem sie ihm mit abgewandtem Gesicht ihre zitternde Hand gibt. Leben Sie wohl, Herr von Walter.
    FERDINAND springt aus seiner Betäubung auf. Ich entfliehe, Luise. Wirst du mir wirklich nicht folgen?
    LUISE hat sich im Hintergrund des Zimmers niedergesetzt und hält das Gesicht mit beiden Händen bedeckt. Meine Pflicht heißt mich bleiben und dulden.
    FERDINAND. Schlange, du lügst. Dich fesselt was anders hier.
    LUISE im Ton des tiefsten inwendigen Leidens. Bleiben Sie bei dieser Vermutung – sie macht vielleicht weniger elend.
    FERDINAND. Kalte Pflicht gegen feurige Liebe! – Und mich soll das Märchen blenden? – Ein Liebhaber fesselt dich, und Weh über dich und ihn, wenn mein Verdacht sich bestätigt. Geht schnell ab.

    Torna su

    Fünfte Szene

    LUISE allein. Sie bleibt noch eine Zeitlang ohne Bewegung und stumm in dem Sessel liegen, endlich steht sie auf, kommt vorwärts und sieht furchtsam herum.
    Wo meine Eltern bleiben? – Mein Vater versprach, in wenigen Minuten zurück zu sein, und schon sind fünf volle fürchterliche Stunden vorüber – Wenn ihm ein Unfall – Wie wird mir? – Warum geht mein Odem so ängstlich?
    Jetzt tritt Wurm in das Zimmer und bleibt im Hintergrund stehen, ohne von ihr bemerkt zu werden.
    Es ist nichts Wirkliches – Es ist nichts als das schaudernde Gaukelspiel des erhitzten Geblüts – Hat unsre Seele nur einmal Entsetzen genug in sich getrunken, so wird das Aug in jedem Winkel Gespenster sehn.

    Torna su

    Sechste Szene

    Luise und Sekretär Wurm.

    WURM kommt näher. Guten Abend, Jungfer.
    LUISE. Gott! Wer spricht da? Sie dreht sich um, wird den Sekretär gewahr und tritt erschrocken zurück. Schrecklich! Schrecklich! Meiner ängstlichen Ahndung eilt schon die unglückseligste Erfüllung nach! Zum Sekretär mit einem Blick voll Verachtung. Suchen Sie etwa den Präsidenten? Er ist nicht mehr da.
    WURM. Jungfer, ich suche Sie.
    LUISE. So muß ich mich wundern, daß Sie nicht nach dem Marktplatz gingen.
    WURM. Warum eben dahin?
    LUISE. Ihre Braut von der Schandbühne abzuholen.
    WURM. Mamsell Millerin, Sie haben einen falschen Verdacht –
    LUISE unterdrückt eine Antwort. Was steht Ihnen zu Diensten?
    WURM. Ich komme? geschickt von Ihrem Vater.
    LUISE bestürzt. Von meinem Vater? – Wo ist mein Vater?
    WURM. Wo er nicht gern ist.
    LUISE. Um Gottes willen! Geschwind! Mich befällt eine üble Ahndung – Wo ist mein Vater?
    WURM. Im Turm, wenn Sie es ja wissen wollen.
    LUISE mit einem Blick zum Himmel. Das noch! das auch noch! – – Im Turm? Und warum im Turm?
    WURM. Auf Befehl des Herzogs.
    LUISE. Des Herzogs?
    WURM. Der die Verletzung der Majestät in der Person seines Stellvertreters
    LUISE. Was? Was? O ewige Allmacht!
    WURM. Auffallend zu ahnden beschlossen hat.
    LUISE. Das war noch übrig! Das! – freilich, freilich, mein Herz hatte noch außer dem Major etwas Teures – Das durfte nicht übergangen werden – Verletzung der Majestät – Himmlische Vorsicht! Rette, o, rette meinen sinkenden Glauben! – Und Ferdinand?
    WURM. Wählt Lady Milford oder Fluch und Enterbung.
    LUISE. Entsetzliche Freiheit! – und doch – doch ist er glücklicher. Er hat keinen Vater zu verlieren. Zwar keinen haben ist Verdammnis genug! – Mein Vater auf Verletzung der Majestät – mein Geliebter die Lady oder Fluch und Enterbung – Wahrlich bewundernswert! Eine vollkommene Büberei ist auch eine Vollkommenheit – Vollkommenheit? Nein! dazu fehlte noch etwas – – Wo ist meine Mutter?
    WURM. Im Spinnhaus.
    LUISE mit schmerzvollem Lächeln. Jetzt ist es völlig! – völlig, und jetzt wär ich ja frei – Abgeschält von allen Pflichten – und Tränen – und Freuden. Abgeschält von der Vorsicht. Ich brauch sie ja nicht mehr – Schreckliches Stillschweigen. Haben Sie vielleicht noch eine Zeitung? Reden Sie immerhin. Jetzt kann ich alles hören.
    WURM. Was geschehen ist, wissen Sie.
    LUISE. Also nicht, was noch kommen wird? Wiederum Pause, worin sie den Sekretär von oben bis unten ansieht. Armer Mensch! Du treibst ein trauriges Handwerk, wobei du ohnmöglich selig werden kannst. Unglückliche machen ist schon schrecklich genug, aber gräßlich ists, es ihnen verkündigen – ihn vorzusingen, den Eulengesang, dabeizustehn, wenn das blutende Herz am eisernen Schaft der Notwendigkeit zittert, und Christen an Gott zweifeln. – Der Himmel bewahre mich! und würde dir jeder Angsttropfe, den du fallen siehst, mit einer Tonne Golds aufgewogen – ich möchte nicht du sein – – Was kann noch geschehen?
    WURM. Ich weiß nicht.
    LUISE. Sie wollen nicht wissen? – Diese lichtscheue Botschaft fürchtet das Geräusch der Worte, aber in der Grabstille Ihres Gesichts zeigt sich mir das Gespenst – Was ist noch übrig – Sie sagten vorhin, der Herzog wolle es auffallend ahnden? Was nennen Sie auffallend?
    WURM. Fragen Sie nichts mehr.
    LUISE. Höre, Mensch! Du gingst beim Henker zur Schule. Wie verstündest du sonst, das Eisen erst langsam-bedächtlich an den knirschenden Gelenken hinaufzuführen, und das zuckende Herz mit dem Streich der Erbarmung zu necken? – Welches Schicksal wartet auf meinen Vater? – Es ist Tod in dem, was du lachend sagst, wie mag das aussehen, was du an dich hältst? Sprich es aus. Laß mich sie auf einmal haben, die ganze zermalmende Ladung. Was wartet auf meinen Vater?
    WURM. Ein Kriminalprozeß.
    LUISE. Was ist aber das? – Ich bin ein unwissendes unschuldiges Ding, verstehe mich wenig auf eure fürchterliche lateinische Wörter. Was heißt Kriminalprozeß?
    WURM. Gericht um Leben und Tod.
    LUISE standhaft. So dank ich Ihnen! Sie eilt schnell in ein Seitenzimmer.
    WURM steht betroffen da. Wo will das hinaus? Sollte die Närrin etwa? – Teufel! sie wird doch nicht – Ich eile nach – ich muß für ihr Leben bürgen. Im Begriff, ihr zu folgen.
    LUISE kommt zurück, einen Mantel umgeworfen. Verzeihen Sie, Sekretär. Ich schließe das Zimmer.
    WURM. Und wohin denn so eilig?
    LUISE. Zum Herzog. Will fort.
    WURM. Was? Wohin? Er hält sie erschrocken zurück.
    LUISE. Zum Herzog. Hören Sie nicht? Zu eben dem Herzog, der meinen Vater auf Tod und Leben will richten lassen – Nein! Nicht will – muß richten lassen, weil einige Böswichter wollen; der zu dem ganzen Prozeß der beleidigten Majestät nichts hergibt als eine Majestät und seine fürstliche Handschrift.
    WURM lacht überlaut. Zum Herzog!
    LUISE. Ich weiß, worüber Sie lachen – aber ich will ja auch kein Erbarmen dort finden – Gott bewahre mich! nur Ekel – Ekel nur an meinem Geschrei. Man hat mir gesagt, daß die Großen der Welt noch nicht belehrt sind, was Elend ist – nicht wollen belehrt sein. Ich will ihm sagen, was Elend ist – will es ihm vormalen in allen Verzerrungen des Todes, was Elend ist – will es ihm vorheulen in Mark und Bein zermalmenden Tönen, was Elend ist – und wenn ihm jetzt über der Beschreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm noch zum Schluß in die Ohren schreien, daß in der Sterbestunde auch die Lungen der Erdengötter zu röcheln anfangen, und das Jüngste Gericht Majestäten und Bettler in dem nämlichen Siebe rüttle. Sie will gehen.
    WURM boshaft freundlich. Gehen Sie, o gehen Sie ja. Sie können wahrlich nichts Klügeres tun. Ich rate es Ihnen, gehen Sie, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß der Herzog willfahren wird.
    LUISE steht plötzlich still. Wie sagen Sie? – Sie raten mir selbst dazu? Kommt schnell zurück. Hm! Was will ich denn, etwas Abscheuliches muß es sein, weil dieser Mensch dazu ratet – Woher wissen Sie, daß der Fürst mir willfahren wird?
    WURM. Weil er es nicht wird umsonst tun dürfen.
    LUISE. Nicht umsonst? Welchen Preis kann er auf eine Menschlichkeit setzen?
    WURM. Die schöne Supplikantin ist Preises genug.
    LUISE bleibt erstarrt stehn, dann mit brechendem Laut. Allgerechter!
    WURM. Und einen Vater werden Sie doch, will ich hoffen, um diese gnädige Taxe nicht überfodert finden?
    LUISE auf und ab, außer Fassung. Ja! Ja! Es ist wahr. Sie sind verschanzt, eure Großen – verschanzt vor der Wahrheit hinter ihre eigene Laster, wie hinter Schwerter der Cherubim – Helfe dir der Allmächtige, Vater. Deine Tochter kann für dich sterben, aber nicht sündigen.
    WURM. Das mag ihm wohl eine Neuigkeit sein, dem armen verlassenen Mann – »Meine Luise«, sagte er mir, »hat mich zu Boden geworfen. Meine Luise wird mich auch aufrichten.« – Ich eile, Mamsell, ihm die Antwort zu bringen. Stellt sich, als ob er ginge.
    LUISE eilt ihm nach, hält ihn zurück. Bleiben Sie! Bleiben Sie! Geduld! – Wie flink dieser Satan ist, wenn es gilt, Menschen rasend zu machen! – Ich hab ihn niedergeworfen. Ich muß ihn aufrichten. Reden Sie! Raten Sie! Was kann ich! Was muß ich tun?
    WURM. Es ist nur ein Mittel.
    LUISE. Dieses einzige Mittel?
    WURM. Auch Ihr Vater wünscht –
    LUISE. Auch mein Vater? – Was ist das für ein Mittel?
    WURM. Es ist Ihnen leicht.
    LUISE. Ich kenne nichts Schwerers als die Schande.
    WURM. Wenn Sie den Major wieder frei machen wollen?
    LUISE. Von seiner Liebe? Spotten Sie meiner? – Das meiner Willkür zu überlassen, wozu ich gezwungen ward?
    WURM. So ist es nicht gemeint, liebe Jungfer. Der Major muß zuerst und freiwillig zurücktreten.
    LUISE. Er wird nicht.
    WURM. So scheint es. Würde man denn wohl seine Zuflucht zu Ihnen nehmen, wenn nicht Sie allein dazu helfen könnten?
    LUISE. Kann ich ihn zwingen, daß er mich hassen muß?
    WURM. Wir wollen versuchen. Setzen Sie sich.
    LUISE betreten. Mensch! Was brütest du?
    WURM. Setzen Sie sich. Schreiben Sie! Hier ist Feder, Papier und Dinte.
    LUISE setzt sich in höchster Beunruhigung. Was soll ich schreiben? An wen soll ich schreiben?
    WURM. An den Henker Ihres Vaters.
    LUISE. Ha! du verstehst dich darauf, Seelen auf die Folter zu schrauben. Ergreift eine Feder.
    WURM diktiert. »Gnädiger Herr« –
    Luise schreibt mit zitternder Hand.
    WURM. »Schon drei unerträgliche Tage sind vor über – – sind vorüber – und wir sahen uns nicht«
    LUISE stutzt, legt die Feder weg. An wen ist der Brief?
    WURM. An den Henker Ihres Vaters.
    LUISE. O mein Gott!
    WURM. »Halten Sie sich deswegen an den Major – an den Major – der mich den ganzen Tag wie ein Argus hütet« –
    LUISE springt auf. Büberei, wie noch keine erhört worden! An wen ist der Brief?
    WURM. An den Henker Ihres Vaters.
    LUISE die Hände ringend auf und nieder. Nein! Nein! Nein! Das ist tyrannisch, o Himmel! Strafe Menschen menschlich, wenn sie dich reizen, aber warum mich zwischen zwei Schröcknisse pressen? Warum zwischen Tod und Schande mich hin und her wiegen? Warum diesen blutsaugenden Teufel mir auf den Nacken setzen? – Macht, was Ihr wollt! Ich schreibe das nimmermehr.
    WURM greift nach dem Hut. Wie Sie wollen, Mademoiselle. Das steht ganz in Ihrem Belieben.
    LUISE. Belieben, sagen Sie? In meinem Belieben? – Geh, Barbar! hänge einen Unglücklichen über dem Abgrund der Hölle aus, bitt ihn um etwas, und lästre Gott und frag ihn, obs ihm beliebe? – O du weißt allzu gut, daß unser Herz an natürlichen Trieben so fest als an Ketten liegt – Nunmehr ist alles gleich. Diktieren Sie weiter. Ich denke nichts mehr. Ich weiche der überlistenden Hölle. Sie setzt sich zum zweitenmal.
    WURM. »Den ganzen Tag wie ein Argus hütet« – Haben Sie das?
    LUISE. Weiter! Weiter!
    WURM. »Wir haben gestern den Präsidenten im Haus gehabt. Es war possierlich zu sehen, wie der gute Major um meine Ehre sich wehrte«
    LUISE. O schön, schön! o herrlich! – Nur immer fort.
    WURM. »Ich nahm meine Zuflucht zu einer Ohnmacht – zu einer Ohnmacht – daß ich nicht laut lachte.«
    LUISE. O Himmel!
    WURM. »Aber bald wird mir meine Maske unerträglich – unerträglich – Wenn ich nur loskommen könnte« –
    LUISE hält inne, steht auf, geht auf und nieder, den Kopf gesenkt, als suchte sie was auf dem Boden; dann setzt sie sich wiederum, schreibt weiter. »Loskommen könnte« –
    WURM. »Morgen hat er den Dienst – Passen Sie ab, wenn er von mir geht, und kommen an den bewußten Ort« – Haben Sie »bewußten«?
    LUISE. Ich habe alles.
    WURM. »An den bewußten Ort zu Ihrer zärtlichen... Luise.«
    LUISE. Nun fehlt die Adresse noch.
    WURM. »An Herrn Hofmarschall von Kalb.«
    LUISE. Ewige Vorsicht! ein Name, so fremd meinen Ohren, als meinem Herzen diese schändlichen Zeilen. Sie steht auf und betrachtet eine große Pause lang mit starrem Blick das Geschriebene, endlich reicht sie es dem Sekretär, mit erschöpfter, hinsterbender Stimme. Nehmen Sie, mein Herr. Es ist mein ehrlicher Name – es ist Ferdinand – ist die ganze Wonne meines Lebens, was ich jetzt in Ihre Hände gebe – Ich bin eine Bettlerin!
    WURM. O nein doch! Verzagen Sie nicht, liebe Mademoiselle. Ich habe herzliches Mitleid mit Ihnen. Vielleicht – wer weiß? – Ich könnte mich noch wohl über gewisse Dinge hinwegsetzen – Wahrlich! Bei Gott! Ich habe Mitleid mit Ihnen.
    LUISE blickt ihn starr und durchdringend an. Reden Sie nicht aus, mein Herr. Sie sind auf dem Wege, sich etwas Entsetzliches zu wünschen.
    WURM im Begriff, ihre Hand zu küssen. Gesetzt, es wäre diese niedliche Hand – Wieso, liebe Jungfer?
    LUISE groß und schrecklich. Weil ich dich in der Brautnacht erdrosselte, und mich dann mit Wollust aufs Rad flechten ließe. Sie will gehen, kommt aber schnell zurück. Sind wir jetzt fertig, mein Herr? Darf die Taube nun fliegen?
    WURM. Nur noch die Kleinigkeit, Jungfer. Sie müssen mit mir, und das Sakrament darauf nehmen, diesen Brief für einen freiwilligen zu erkennen.
    LUISE. Gott! Gott! und du selbst mußt das Siegel geben, die Werke der Hölle zu verwahren? Wurm zieht sie fort.

    Torna su
    Vierter Akt

    Saal beim Präsidenten.

    Zweite Szene

    FERDINAND allein, den Brief durchfliegend, bald erstarrend, bald wütend herumstürzend.

    Es ist nicht möglich. Nicht möglich. Diese himmlische Hülle versteckt kein so teuflisches Herz – – Und doch! doch! Wenn alle Engel herunterstiegen, für ihre Unschuld bürgten – wenn Himmel und Erde, wenn Schöpfung und Schöpfer zusammenträten, für ihre Unschuld bürgten – es ist ihre Hand – ein unerhörter, ungeheurer Betrug, wie die Menschheit noch keinen erlebte! – Das also wars, warum man sich so beharrlich der Flucht widersetzte! – Darum – o Gott! jetzt erwach ich, jetzt enthüllt sich mir alles! – Darum gab man seinen Anspruch auf meine Liebe mit soviel Heldenmut auf, und bald, bald hätte selbst mich die himmlische Schminke betrogen!
    Er stürzt rascher durchs Zimmer, dann steht er wieder nachdenkend still. Mich so ganz zu ergründen! – Jedes kühne Gefühl, jede leise, schüchterne Bebung zu erwidern, jede feurige Wallung – An der feinsten Unbeschreiblichkeit eines schwebenden Lauts meine Seele zu fassen – Mich zu berechnen in einer Träne – Auf jeden gähen Gipfel der Leidenschaft mich zu begleiten, mir zu begegnen vor jedem schwindelnden Absturz – Gott! Gott! und alles das nichts als Grimasse? – Grimasse? – O wenn die Lüge eine so haltbare Farbe hat, wie ging es zu, daß sich kein Teufel noch in das Himmelreich hineinlog?
    Da ich ihr die Gefahr unsrer Liebe entdeckte, mit welch überzeugender Täuschung erblaßte die Falsche da! Mit welch siegender Würde schlug sie den frechen Hohn meines Vaters zu Boden, und in eben dem Augenblick fühlte das Weib sich doch schuldig – Was? hielt sie nicht selbst die Feuerprobe der Wahrheit aus – die Heuchlerin sinkt in Ohnmacht. Welche Sprache wirst du jetzt führen, Empfindung? Auch Koketten sinken in Ohnmacht. Womit wirst du dich rechtfertigen, Unschuld – Auch Metzen sinken in Ohnmacht.
    Sie weiß, was sie aus mir gemacht hat. Sie hat meine ganze Seele gesehn. Mein Herz trat beim Erröten des ersten Kusses sichtbar in meine Augen – und sie empfand nichts? Empfand vielleicht nur den Triumph ihrer Kunst? – Da mein glücklicher Wahnsinn den ganzen Himmel in ihr zu umspannen wähnte? Meine wildesten Wünsche schwiegen? Vor meinem Gemüt stand kein Gedanke als die Ewigkeit und das Mädchen – Gott! da empfand sie nichts? Fühlte nichts, als ihren Anschlag gelungen? Nichts, als ihre Reize geschmeichelt? Tod und Rache! Nichts, als daß ich betrogen sei?

    Torna su
    Fünfter Akt

    Zweite Szene

    Ferdinand zu den Vorigen.

    LUISE wird ihn zuerst gewahr und wirft sich Millern laut schreiend um den Hals. Gott! Da ist er! Ich bin verloren!
    MILLER. Wo? Wer?
    LUISE zeigt mit abgewandtem Gesicht auf den Major und drückt sich fester an ihren Vater. Er! Er selbst! – Seh Er nur um sich, Vater – Mich zu ermorden ist er da!
    MILLER erblickt ihn, fährt zurück. Was? Sie hier, Baron?
    FERDINAND kommt langsam näher, bleibt Luisen gegenüber stehn und läßt den starren, forschenden Blick auf ihr ruhen, nach einer Pause. Überraschtes Gewissen, habe Dank! Dein Bekenntnis ist schrecklich, aber schnell und gewiß, und erspart mir die Folterung. – Guten Abend, Miller.
    MILLER. Aber um Gottes willen! Was wollen Sie, Baron? Was führt Sie her? Was soll dieser Überfall?
    FERDINAND. Ich weiß eine Zeit, wo man den Tag in seine Sekunden zerstückte, wo Sehnsucht nach mir sich an die Gewichte der zögernden Wanduhr hing, und auf den Aderschlag lauerte, unter dem ich erscheinen sollte – Wie kommts, daß ich jetzt überrasche?
    MILLER. Gehen Sie, gehen Sie, Baron – Wenn noch ein Funke von Menschlichkeit in Ihrem Herzen zurückblieb – Wenn Sie die nicht erwürgen wollen, die Sie zu lieben vorgeben, fliehen Sie, bleiben Sie keinen Augenblick länger. Der Segen war fort aus meiner Hütte, sobald Sie einen Fuß darein setzten – Sie haben das Elend unter mein Dach gerufen, wo sonst nur die Freude zu Hause war. Sind Sie noch nicht zufrieden? Wollen Sie auch in der Wunde noch wühlen, die Ihre unglückliche Bekanntschaft meinem einzigen Kinde schlug?
    FERDINAND. Wunderlicher Vater, jetzt komm ich ja, deiner Tochter etwas Erfreuliches zu sagen.
    MILLER. Neue Hoffnungen etwa zu einer neuen Verzweiflung? – Geh, Unglücksbote! Dein Gesicht schimpft deine Ware.
    FERDINAND. Endlich ist es erschienen, das Ziel meiner Hoffnungen! Lady Milford, das furchtbarste Hindernis unsrer Liebe, floh diesen Augenblick aus dem Lande. Mein Vater billigt meine Wahl. Das Schicksal läßt nach, uns zu verfolgen. Unsre glücklichen Sterne gehen auf – Ich bin jetzt da, mein gegebenes Wort einzulösen, und meine Braut zum Altar abzuholen.
    MILLER. Hörst du ihn, meine Tochter? Hörst du ihn sein Gespötte mit deinen getäuschten Hoffnungen treiben? O wahrlich, Baron! Es steht dem Verführer so schön, an seinem Verbrechen seinen Witz noch zu kützeln.
    FERDINAND. Du glaubst, ich scherze. Bei meiner Ehre nicht! Meine Aussage ist wahr, wie die Liebe meiner Luise, und heilig will ich sie halten, wie sie ihre Eide – Ich kenne nichts Heiligers – Noch zweifelst du? Noch kein freudiges Erröten auf den Wangen meiner schönen Gemahlin? Sonderbar! Die Lüge muß hier gangbare Münze sein, wenn die Wahrheit so wenig Glauben findet. Ihr mißtraut meinen Worten? So glaubt diesem schriftlichen Zeugnis. Er wirft Luisen den Brief an den Marschall zu.
    Luise schlägt ihn auseinander und sinkt leichenblaß nieder.
    MILLER ohne das zu bemerken, zum Major. Was soll das bedeuten, Baron? Ich verstehe Sie nicht.
    FERDINAND führt ihn zu Luisen hin. Desto besser hat mich diese verstanden!
    MILLER fällt an ihr nieder. O Gott! meine Tochter!
    FERDINAND. Bleich wie der Tod! – Jetzt erst gefällt sie mir, deine Tochter! So schön war sie nie, die fromme, rechtschaffne Tochter – Mit diesem Leichengesicht – – Der Odem des Weltgerichts, der den Firnis von jeder Lüge streift, hat jetzt die Schminke verblasen, womit die Tausendkünstlerin auch die Engel des Lichts hintergangen hat – Es ist ihr schönstes Gesicht! Es ist ihr erstes wahres Gesicht! Laß mich es küssen! Er will auf sie zugehen.
    MILLER. Zurück! Weg! Greife nicht an das Vaterherz, Knabe! Vor deinen Liebkosungen konnt ich sie nicht bewahren, aber ich kann es vor deinen Mißhandlungen.
    FERDINAND. Was willst du, Graukopf? Mit dir hab ich nichts zu schaffen. Menge dich ja nicht in ein Spiel, das so offenbar verloren ist – oder bist du auch vielleicht klüger, als ich dir zugetraut habe? Hast du die Weisheit deiner sechzig Jahre zu den Buhlschaften deiner Tochter geborgt, und dies ehrwürdige Haar mit dem Gewerb eines Kupplers geschändet? – O! wenn das nicht ist, unglücklicher alter Mann, lege dich nieder und stirb – Noch ist es Zeit. Noch kannst du in dem süßen Taumel entschlafen: Ich war ein glücklicher Vater! – einen Augenblick später, und du schleuderst die giftige Natter ihrer höllischen Heimat zu, verfluchst das Geschenk und den Geber, und fährst mit der Gotteslästerung in die Grube. Zu Luisen. Sprich, Unglückselige! Schriebst du diesen Brief?
    MILLER warnend zu Luisen. Um Gotteswillen, Tochter! Vergiß nicht! Vergiß nicht!
    LUISE. O dieser Brief, mein Vater –
    FERDINAND. Daß er in die unrechte Hände fiel? Gepriesen sei mir der Zufall, er hat größere Taten getan als die klügelnde Vernunft, und wird besser bestehn an jenem Tag als der Witz aller Weisen – Zufall sage ich? – O die Vorsehung ist dabei, wenn Sperlinge fallen, warum nicht, wo ein Teufel entlarvt werden soll? – Antwort will ich! – Schriebst du diesen Brief?
    MILLER seitwärts zu ihr mit Beschwörung. Standhaft! Standhaft, meine Tochter! Nur noch das einzige Ja, und alles ist überwunden.
    FERDINAND. Lustig! Lustig! Auch der Vater betrogen. Alles betrogen! Nun sieh, wie sie dasteht, die Schändliche, und selbst ihre Zunge nun ihrer letzten Lüge den Gehorsam aufkündigt! Schwöre bei Gott! bei dem fürchterlich wahren! Schriebst du diesen Brief?

    LUISE nach einem qualvollen Kampf, worin sie durch Blicke mit ihrem Vater gesprochen hat, fest und entscheidend. Ich schrieb ihn.
    FERDINAND bleibt erschrocken stehen. Luise – Nein! So wahr meine Seele lebt! du lügst – Auch die Unschuld bekennt sich auf der Folterbank zu Freveln, die sie nie beging – Ich fragte zu heftig – Nicht wahr, Luise – du bekanntest nur, weil ich zu heftig fragte?
    LUISE. Ich bekannte, was wahr ist.
    FERDINAND. Nein sag ich! Nein! Nein! Du schriebst nicht. Es ist deine Hand gar nicht – Und wäre sies, warum sollten Handschriften schwerer nachzumachen sein, als Herzen zu verderben? Rede mir wahr, Luise – oder nein, nein, tu es nicht, du könntest Ja sagen, und ich wär verloren – Eine Lüge, Luise – eine Lüge – O wenn du jetzt eine wüßtest, mir hinwärfest mit der offenen Engelmiene, nur mein Ohr, nur mein Aug überredetest, dieses Herz auch noch so abscheulich täuschtest – O Luise! Alle Wahrheit möchte dann mit diesem Hauch aus der Schöpfung wandern, und die gute Sache ihren starren Hals von nun an zu einem höfischen Bückling beugen! Mit scheuem bebenden Ton. Schriebst du diesen Brief?
    LUISE. Bei Gott! Bei dem fürchterlich wahren! Ja!
    FERDINAND nach einer Pause, im Ausdruck des tiefsten Schmerzens. Weib! Weib! – Das Gesicht, mit dem du jetzt vor mir stehst! – Teile mit diesem Gesicht Paradiese aus, du wirst selbst im Reich der Verdammnis keinen Käufer finden – Wußtest du, was du mir warest, Luise? Ohnmöglich! Nein! Du wußtest nicht, daß du mir alles warst! Alles! – Es ist ein armes, verächtliches Wort, aber die Ewigkeit hat Mühe, es zu umwandern, Weltsysteme vollenden ihre Bahnen darin – Alles! Und so frevelhaft damit zu spielen – O es ist schrecklich –
    LUISE. Sie haben mein Geständnis, Herr von Walter. Ich habe mich selbst verdammt. Gehen Sie nun! Verlassen Sie ein Haus, wo Sie so unglücklich waren.
    FERDINAND. Gut! gut! Ich bin ja ruhig – ruhig, sagt man ja, ist auch der schaudernde Strich Landes, worüber die Pest ging – ich bins. Nach einigem Nachdenken. Noch eine Bitte, Luise – die letzte! Mein Kopf brennt so fieberisch. Ich brauche Kühlung – Willst du mir ein Glas Limonade zurechtmachen? Luise geht ab.

    Torna su

    Siebente Szene

    Ferdinand und Luise.
    Sie kommt langsam mit dem Lichte zurück, setzt es nieder und stellt sich auf die entgegengesetzte Seite vom Major, das Gesicht auf den Boden geschlagen und nur zuweilen furchtsam und verstohlen nach ihm herüberschielend. Er steht auf der andern Seite und sieht starr vor sich hinaus.

    Großes Stillschweigen, das diesen Auftritt ankündigen muß.

    LUISE. Wollen Sie mich akkompagnieren, Herr von Walter, so mach ich einen Gang auf dem Fortepiano. Sie öffnet den Pantalon.
    Ferdinand gibt ihr keine Antwort. Pause.
    LUISE. Sie sind mir auch noch Revanche auf dem Schachbrett schuldig. Wollen wir eine Partie, Herr von Walter?
    Eine neue Pause.
    LUISE. Herr von Walter, die Brieftasche, die ich Ihnen einmal zu sticken versprochen – Ich habe sie angefangen – Wollen Sie das Dessin nicht besehen?
    Wieder eine Pause.
    LUISE. O ich bin sehr elend!
    FERDINAND in der bisherigen Stellung. Das könnte wahr sein.
    LUISE. Meine Schuld ist es nicht, Herr von Walter, daß Sie so schlecht unterhalten werden.
    FERDINAND lacht beleidigend vor sich hin. Denn was kannst du für meine blöde Bescheidenheit?
    LUISE. Ich hab es ja wohl gewußt, daß wir jetzt nicht zusammen taugen. Ich erschrak auch gleich, ich bekenne es, als Sie meinen Vater verschickten – Herr von Walter, ich vermute, dieser Augenblick wird uns beiden gleich unerträglich sein – Wenn Sie mirs erlauben wollen, so geh ich und bitte einige von meinen Bekannten her.
    FERDINAND. O ja doch, das tu. Ich will auch gleich gehn und von den meinigen bitten.
    LUISE sieht ihn stutzend an. Herr von Walter?
    FERDINAND sehr hämisch. Bei meiner Ehre! der gescheiteste Einfall, den ein Mensch in dieser Lage nur haben kann. Wir machen aus diesem verdrüßlichen Duett eine Lustbarkeit, und rächen uns mit Hilfe gewisser Galanterien an den Grillen der Liebe.
    LUISE. Sie sind aufgeräumt, Herr von Walter?
    FERDINAND. Ganz außerordentlich, um die Knaben auf dem Markt hinter mir her zu jagen! Nein! in Wahrheit, Luise. Dein Beispiel bekehrt mich – Du sollst meine Lehrerin sein. Toren sinds, die von ewiger Liebe schwatzen, ewiges Einerlei widersteht, Veränderung nur ist das Salz des Vergnügens – Topp, Luise! Ich bin dabei – Wir hüpfen von Roman zu Romane, wälzen uns von Schlamme zu Schlamm – Du dahin – Ich dorthin – Vielleicht, daß meine verlorene Ruhe sich in einem Bordell wiederfinden läßt – Vielleicht, daß wir dann nach dem lustigen Wettlauf, zwei modernde Gerippe, mit der angenehmsten Überraschung von der Welt zum zweitenmal aufeinanderstoßen, daß wir uns da an dem gemeinschaftlichen Familienzug, den kein Kind dieser Mutter verleugnet, wie in Komödien wiedererkennen, daß Ekel und Scham noch eine Harmonie veranstalten, die der zärtlichsten Liebe unmöglich gewesen ist.
    LUISE. O Jüngling! Jüngling! Unglücklich bist du schon, willst du es auch noch verdienen?
    FERDINAND ergrimmt durch die Zähne murmelnd. Unglücklich bin ich? Wer hat dir das gesagt? Weib, du bist zu schlecht, um selbst zu empfinden – womit kannst du eines andern Enpfindungen wägen? – Unglücklich, sagte sie? – Ha! dieses Wort könnte meine Wut aus dem Grabe rufen! – Unglücklich mußt ich werden, das wußte sie. Tod und Verdammnis! das wußte sie und hat mich dennoch verraten – Siehe, Schlange! Das war der einzige Fleck der Vergebung – Deine Aussage bricht dir den Hals – Bis jetzt konnt ich deinen Frevel mit deiner Einfalt beschönigen, in meiner Verachtung wärst du beinahe meiner Rache entsprungen. Indem er hastig das Glas ergreift. Also leichtsinnig warst du nicht – dumm warst du nicht – du warst nur ein Teufel. Er trinkt. Die Limonade ist matt wie deine Seele – Versuche!
    LUISE. O Himmel! Nicht umsonst hab ich diesen Auftritt gefürchtet.
    FERDINAND gebieterisch. Versuche!
    Luise nimmt das Glas etwas unwillig und trinkt.
    Ferdinand wendet sich, sobald sie das Glas an den Mund setzt, mit einer plötzlichen Erblassung weg und eilt nach dem hintersten Winkel des Zimmers.
    LUISE. Die Limonade ist gut.
    FERDINAND ohne sich umzukehren, von Schauer geschüttelt. Wohl bekomms!
    LUISE nachdem sie es niedergesetzt. O wenn Sie wüßten, Walter, wie ungeheuer Sie meine Seele beleidigen.
    FERDINAND. Hum!
    LUISE. Es wird eine Zeit kommen, Walter –
    FERDINAND wieder vorwärts kommend. O! mit der Zeit wären wir fertig.
    LUISE. Wo der heutige Abend schwer auf Ihr Herz fallen dürfte –
    FERDINAND fängt an stärker zu gehen und beunruhigter zu werden, indem er Schärpe und Degen von sich wirft. Gute Nacht, Herrendienst!
    LUISE. Mein Gott! Wie wird Ihnen?
    FERDINAND. Heiß und enge – Will mirs bequemer machen.
    LUISE. Trinken Sie! Trinken Sie! Der Trank wird Sie kühlen.
    FERDINAND. Das wird er auch ganz gewiß – Die Metze ist gutherzig, doch! das sind alle!
    LUISE mit dem vollen Ausdruck der Liebe ihm in die Arme eilend. Das deiner Luise, Ferdinand?
    FERDINAND drückt sie von sich. Fort! Fort! Diese sanfte, schmelzende Augen weg! Ich erliege. Komm in deiner ungeheuren Furchtbarkeit, Schlange, spring an mir auf, Wurm – krame vor mir deine gräßliche Knoten aus, bäume deine Wirbel zum Himmel – So abscheulich, als dich jemals der Abgrund sah – Nur keinen Engel mehr – Nur jetzt keinen Engel mehr – es ist zu spät – Ich muß dich zertreten wie eine Natter, oder verzweifeln – Erbarme dich!
    LUISE. O! Daß es so weit kommen mußte!
    FERDINAND sie von der Seite betrachtend. Dieses schöne Werk des himmlischen Bildners – Wer kann das glauben? – Wer sollte das glauben? Ihre Hand fassend und emporhaltend. Ich will dich nicht zur Rede stellen, Gott Schöpfer – aber warum denn dein Gift in so schönen Gefäßen? – – Kann das Laster in diesem milden Himmel, strich fortkommen? – O es ist seltsam.

    LUISE. Das anzuhören und schweigen zu müssen!
    FERDINAND. Und die süße, melodische Stimme – Wie kann so viel Wohlklang kommen aus zerrissenen Saiten? Mit trunkenem Aug auf ihrem Anblick verweilend. Alles so schön – so voll Ebenmaß – so göttlich vollkommen! – Überall das Werk seiner himmlischen Schäferstunde! Bei Gott! als wäre die große Welt nur entstanden, den Schöpfer für dieses Meisterstück in Laune zu setzen! – – Und nur in der Seele sollte Gott sich vergriffen haben? Ist es möglich, daß diese empörende Mißgeburt in die Natur ohne Tadel kam? Indem er sie schnell verläßt. Oder sah er einen Engel unter dem Meißel hervorgehen, und half diesem Irrtum in der Eile mit einem desto schlechteren Herzen ab?
    LUISE. O des frevelhaften Eigensinns! Ehe er sich eine Übereilung gestände, greift er lieber den Himmel an.
    FERDINAND stürzt ihr heftig weinend an den Hals. Noch einmal, Luise – Noch einmal, wie am Tag unsers ersten Kusses, da du Ferdinand stammeltest und das erste Du auf deine brennende Lippen trat – O eine Saat unendlicher, unaussprechlicher Freuden schien in dem Augenblick wie in der Knospe zu liegen – Da lag die Ewigkeit wie ein schöner Maitag vor unsern Augen; goldne Jahrtausende hüpften wie Bräute vor unsrer Seele vorbei – – Da war ich der Glückliche! – O Luise! Luise! Luise! Warum hast du mir das getan?
    LUISE. Weinen Sie, weinen Sie, Walter. Ihre Wehmut wird gerechter gegen mich sein als Ihre Entrüstung.
    FERDINAND. Du betrügst dich. Das sind ihre Tränen nicht – Nicht jener warme, wollüstige Tau, der in die Wunde der Seele balsamisch fließt, und das starre Rad der Empfindung wieder in Gang bringt. Es sind einzelne – kalte Tropfen – das schauerliche ewige Lebewohl meiner Liebe. Furchtbar-feierlich, indem er die Hand auf ihren Kopf sinken läßt. Tränen um deine Seele, Luise – Tränen um die Gottheit, die ihres unendlichen Wohlwollens hier verfehlte, die so mutwillig um das herrlichste ihrer Werke kommt – O mich deucht, die ganze Schöpfung sollte den Flor anlegen und über das Beispiel betreten sein, das in ihrer Mitte geschieht – Es ist was Gemeines, daß Menschen fallen und Paradiese verloren werden; aber wenn die Pest unter Engel wütet, so rufe man Trauer aus durch die ganze Natur.
    LUISE. Treiben Sie mich nicht aufs Äußerste, Walter. Ich habe Seelenstärke so gut wie eine – aber sie muß auf eine menschliche Probe kommen. Walter, das Wort noch, und dann geschieden – – Ein entsetzliches Schicksal hat die Sprache unsrer Herzen verwirrt. Dürft ich den Mund auftun, Walter, ich könnte dir Dinge sagen – ich könnte – – aber das harte Verhängnis band meine Zunge wie meine Liebe, und dulden muß ichs, wenn du mich wie eine gemeine Metze mißhandelst.
    FERDINAND. Fühlst du dich wohl, Luise?
    LUISE. Wozu diese Frage?
    FERDINAND. Sonst sollte mirs leid um dich tun, wenn du mit dieser Lüge von hinnen müßtest.
    LUISE. Ich beschwöre Sie, Walter –
    FERDINAND unter heftigen Bewegungen. Nein! Nein! zu satanisch wäre diese Rache! Nein, Gott bewahre mich! in jene Welt hinaus will ichs nicht treiben – Luise! Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr aus diesem Zimmer gehen.
    LUISE. Fragen Sie, was Sie wollen. Ich antworte nichts mehr. Sie setzt sich nieder.
    FERDINAND ernster. Sorge für deine unsterbliche Seele, Luise! Hast du den Marschall geliebt? Du wirst nicht mehr aus diesem Zimmer gehen.
    LUISE. Ich antworte nichts mehr.
    FERDINAND fällt in fürchterlicher Bewegung vor ihr nieder. Luise! Hast du den Marschall geliebt? Ehe dieses Licht noch ausbrennt – stehst du – vor Gott!
    LUISE fährt erschrocken in die Höhe. Jesus! Was ist das? – – – und mir wird sehr übel. Sie sinkt auf den Sessel zurück.
    FERDINAND. Schon? – Über euch Weiber und das ewige Rätsel! Die zärtliche Nerve hält Freveln fest, die die Menschheit an ihren Wurzeln zernagen; ein elender Gran Arsenik wirft sie um –
    LUISE. Gift! Gift! O mein Herrgott!
    FERDINAND. So fürcht ich. Deine Limonade war in der Hölle gewürzt. Du hast sie dem Tod zugetrunken.
    LUISE. Sterben! Sterben! Gott allbarmherziger! Gift in der Limonade und sterben! – O meiner Seele erbarme dich, Gott der Erbarmer!
    FERDINAND. Das ist die Hauptsache. Ich bitt ihn auch darum.
    LUISE. Und meine Mutter – mein Vater – Heiland der Welt! mein armer, verlorener Vater! Ist keine Rettung mehr? Mein junges Leben und keine Rettung! und muß ich jetzt schon dahin?
    FERDINAND. Keine Rettung, mußt jetzt schon dahin – aber sei ruhig. Wir machen die Reise zusammen.
    LUISE. Ferdinand, auch du! Gift, Ferdinand! Von dir? O Gott, vergiß es ihm – Gott der Gnade, nimm die Sünde von ihm –
    FERDINAND. Sieh du nach deinen Rechnungen – Ich fürchte, sie stehen übel.
    LUISE. Ferdinand! Ferdinand! – O – Nun kann ich nicht mehr schweigen – der Tod – der Tod hebt alle Eide auf – Ferdinand – Himmel und Erde hat nichts Unglückseligers als dich – Ich sterbe unschuldig, Ferdinand.
    FERDINAND erschrocken. Was sagt sie da? – Eine Lüge pflegt man doch sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?
    LUISE. Ich lüge nicht – lüge nicht – hab nur einmal gelogen mein Leben lang – Hu! Wie das eiskalt durch meine Adern schauert – – als ich den Brief schrieb an den Hofmarschall –
    FERDINAND. Ha! dieser Brief! – Gottlob! jetzt hab ich all meine Mannheit wieder.
    LUISE ihre Zunge wird schwerer, ihre Finger fangen an gichterisch zu zucken. Dieser Brief – Fasse dich, ein entsetzliches Wort zu hören – Meine Hand schrieb, was mein Herz verdammte – dein Vater hat ihn diktiert.
    Ferdinand starr und einer Bildsäule gleich, in langer toter Pause hingewurzelt, fällt endlich wie von einem Donnerschlag nieder.
    LUISE. O des kläglichen Mißverstands – Ferdinand – Man zwang mich – vergib – deine Luise hätte den Tod vorgezogen – aber mein Vater – die Gefahr – sie machten es listig.
    FERDINAND schrecklich emporgeworfen. Gelobet sei Gott! Noch spür ich den Gift nicht. Er reißt den Degen heraus.
    LUISE von Schwäche zu Schwäche sinkend. Weh! Was beginnst du? Es ist dein Vater –
    FERDINAND im Ausdruck der unbändigsten Wut. Mörder und Mördervater! – Mit muß er, daß der Richter der Welt nur gegen den Schuldigen rase. Will hinaus.
    LUISE. Sterbend vergab mein Erlöser – Heil über dich und ihn. Sie stirbt.
    FERDINAND kehrt schnell um, wird ihre letzte, sterbende Bewegung gewahr und fällt in Schmerz aufgelöst vor der Toten nieder. Halt! Halt! Entspringe mir nicht, Engel des Himmels! Erfaßt ihre Hand an und läßt sie schnell wieder fallen. Kalt, kalt und feucht! Ihre Seele ist dahin. Er springt wieder auf. Gott meiner Luise! Gnade, Gnade dem verruchtesten der Mörder! Es war ihr letztes Gebet! – – Wie reizend und schön auch im Leichnam! Der gerührte Würger ging schonend über diese freundliche Wangen hin – Diese Sanftmut war keine Larve – sie hat auch dem Tod standgehalten. Nach einer Pause. Aber wie? Warum fühl ich nichts? Will die Kraft meiner Jugend mich retten? Undankbare Mühe! Das ist meine Meinung nicht. Er greift nach dem Glase.

    Torna su

    Letzte Szene

    Ferdinand. Der Präsident. Wurm und Bediente, welche alle voll Schrecken ins Zimmer stürzen; darauf Miller mit Volk und Gerichtsdienern, welche sich im Hintergrund sammeln.

    PRÄSIDENT den Brief in der Hand. Sohn, was ist das? – Ich will doch nimmermehr glauben –
    FERDINAND wirft ihm das Glas vor die Fuße. So sieh, Mörder!
    PRÄSIDENT taumelt hinter sich. Alle erstarren. Eine schröckhafte Pause. Mein Sohn! Warum hast du mir das getan?
    FERDINAND ohne ihn anzusehen. O ja freilich! Ich hätte den Staatsmann erst hören sollen, ob der Streich auch zu seinen Karten passe? – Fein und bewundernswert, ich gestehs, war die Finte, den Bund unsrer Herzen zu zerreißen durch Eifersucht – Die Rechnung hatte ein Meister gemacht, aber schade nur, daß die zürnende Liebe dem Draht nicht so gehorsam blieb wie deine hölzerne Puppe.
    PRÄSIDENT sucht mit verdrehten Augen im ganzen Kreis herum. Ist hier niemand, der um einen trostlosen Vater weinte?
    MILLER hinter der Szene rufend. Laßt mich hinein! Um Gottes willen! Laßt mich!
    FERDINAND. Das Mädchen ist eine Heilige – für sie muß ein anderer rechten. Er öffnet Millern die Türe, der mit Volk und Gerichtsdienern hereinstürzt.
    MILLER in der fürchterlichsten Angst. Mein Kind! Mein Kind! – Gift – Gift, schreit man, sei hier genommen worden – Meine Tochter! Wo bist du?
    FERDINAND führt ihn zwischen den Präsidenten und Luisens Leiche. Ich bin unschuldig – Danke diesem hier.
    MILLER fällt an ihr zu Boden. O Jesus!
    FERDINAND. In wenig Worten, Vater – sie fangen an, mir kostbar zu werden – Ich bin bübisch um mein Leben bestohlen, bestohlen durch Sie. Wie ich mit Gott stehe, zittre ich – doch ein Bösewicht bin ich niemals gewesen. Mein ewiges Los falle, wie es will – auf Sie fall es nicht – Aber ich hab einen Mord begangen Mit furchtbar erhobener Stimme. einen Mord, den du mir nicht zumuten wirst, allein vor den Richter der Welt hinzu schleppen, feierlich wälz ich dir hier die größte, gräßlichste Hälfte zu, wie du damit zurechtkommen magst, siehe du selber! Ihn zu Luisen hinführend. Hier, Barbar! Weide dich an der entsetzlichen Frucht deines Witzes, auf dieses Gesicht ist mit Verzerrungen dein Name geschrieben, und die Würgengel werden ihn lesen – Eine Gestalt wie diese ziehe den Vorhang von deinem Bette, wenn du schläfst, und gebe dir ihre eiskalte Hand – Eine Gestalt wie diese stehe vor deiner Seele, wenn du stirbst, und dränge dein letztes Gebet weg. – Eine Gestalt wie diese stehe auf deinem Grabe, wenn du auferstehst und – neben Gott, wenn er dich richtet. Er wird ohnmächtig, Bediente halten ihn.
    PRÄSIDENT eine schreckliche Bewegung des Arms gegen den Himmel. Von mir nicht, von mir nicht, Richter der Welt, fodre diese Seelen von diesem! Er geht auf Wurm zu.
    WURM auffahrend. Von mir?
    PRÄSIDENT. Verfluchter, von dir! Von dir, Satan! – Du, du gabst den Schlangenrat – Über dich die Verantwortung – Ich wasche die Hände.
    WURM. Über mich? Er fängt gräßlich an zu lachen. Lustig! Lustig! So weiß ich doch nun auch, auf was Art sich die Teufel danken. – Über mich, dummer Bösewicht? War es mein Sohn? War ich sein Gebieter? – Über mich die Verantwortung? Ha! bei diesem Anblick, der alles Mark in meinen Gebeinen erkältet! Über mich soll sie kommen! – Jetzt will ich verloren sein, aber du sollst es mit mir sein – Auf! Auf! Ruft Mord durch die Gassen! Weckt die Justiz auf! Gerichtsdiener, bindet mich! Führt mich von hinnen! Ich will Geheimnisse aufdecken, daß denen, die sie hören, die Haut schauern soll. Will gehn.
    PRÄSIDENT hält ihn. Du wirst doch nicht, Rasender?
    WURM klopft ihn auf die Schultern. Ich werde, Kamerad! Ich werde – Rasend bin ich, das ist wahr – das ist dein Werk – so will ich auch jetzt handeln wie ein Rasender – Arm in Arm mit dir zum Blutgerüst! Arm in Arm mit dir zur Hölle! Es soll mich kitzeln, Bube, mit dir verdammt zu sein! Er wird abgeführt.
    MILLER der die ganze Zeit über, den Kopf in Luisens Schoß gesunken, in stummem Schmerze gelegen hat, steht schnell auf und wirft dem Major die Börse vor die Füße. Giftmischer! Behalt dein verfluchtes Gold! – Wolltest du mir mein Kind damit abkaufen? Er stürzt aus dem Zimmer.
    FERDINAND mit brechender Stimme. Geht ihm nach! Er verzweifelt – Das Geld hier soll man ihm retten – Es ist meine fürchterliche Erkenntlichkeit. Luise – Luise – Ich komme – – Lebt wohl – – Laßt mich an diesem Altar verscheiden –
    PRÄSIDENT aus einer dumpfen Betäubung, zu seinem Sohn. Sohn Ferdinand! Soll kein Blick mehr auf einen zerschmetterten Vater fallen? Der Major wird neben Luisen niedergelassen.
    FERDINAND. Gott dem Erbarmenden gehört dieser letzte.
    PRÄSIDENT in der schrecklichsten Qual vor ihm niederfallend. Geschöpf und Schöpfer verlassen mich – Soll kein Blick mehr zu meiner letzten Erquickung fallen?
    Ferdinand reicht ihm seine sterbende Hand.
    PRÄSIDENT steht schnell auf. Er vergab mir! Zu den andern. Jetzt euer Gefangener!
    Er geht ab, Gerichtsdiener folgen ihm, der Vorhang fällt.

    Torna su