Testi Definizione

Jakob Michael Reinhold Lenz

Die Soldaten
Ein Schauspiel

  • Erster Akt
  •  
  • Zweiter Akt
  •  
  • Dritter Akt
  •  
  • Fünfter Akt


  • Personen

    Wesener, ein Galanteriehändler in Lille
    Frau Wesener, seine Frau
    Mariane
    Charlotte, ihre Töchter
    Stolzius, Tuchhändler in Armentières
    Seine Mutter
    Jungfer Zipfersaat
    Desportes, ein Edelmann aus dem französischen Hennegau, in französischen Diensten
    Der Graf von Spannheim, sein Obrister
    Pirzel, ein Hauptmann
    Eisenhardt, Feldprediger
    Haudy, Rammler, Mary, Offiziers
    Die Gräfin de la Roche
    Ihr Sohn
    Frau Bischof
    Ihre Cousine und andere

    Der Schauplatz ist im französischen Flandern

    Erster Akt

    Dritte Szene

    In Lille.
    Mariane. Desportes.

    DESPORTES. Was machen Sie denn da meine göttliche Mademoiselle?
    MARIANE die ein Buch weiß Papier vor sich liegen hat, auf dem sie krützelte, steckt schnell die Feder hinters Ohr. O nichts, nichts, gnädiger Herr – Lächelnd. Ich schreib gar zu gern.
    DESPORTES. Wenn ich nur so glücklich wäre, einen von Ihren Briefen, nur eine Zeile von Ihrer schönen Hand zu sehen.
    MARIANE. O verzeihen Sie mir, ich schreibe gar nicht schön, ich schäme mich von meiner Schrift zu weisen.
    DESPORTES. Alles was von einer solchen Hand kommt muß schön sein.
    MARIANE. O Herr Baron hören Sie auf, ich weiß doch daß das alles nur Komplimenten sein.
    DESPORTES kniend. Ich schwöre Ihnen daß ich noch in meinem Leben nichts Vollkommeneres gesehen habe als Sie sind.
    MARIANE strickt, die Augen auf ihre Arbeit niedergeschlagen. Meine Mutter hat mir doch gesagt – sehen Sie, wie falsch Sie sind.
    DESPORTES. Ich falsch? Können Sie das von mir glauben, göttliche Mademoiselle? Ist das falsch wenn ich mich vom Regiment wegstehle, da ich mein Semestre doch verkauft habe und jetzt riskiere daß wenn man erfährt, daß ich nicht bei meinen Eltern bin wie ich vorgab, man mich in Prison wirft wenn ich wiederkomme, ist das falsch, nur um das Glück zu haben Sie zu sehen, Vollkommenste?
    MARIANE wieder auf ihre Arbeit sehend. Meine Mutter hat mir doch oft gesagt, ich sei noch nicht vollkommen ausgewachsen, ich sei in den Jahren wo man weder schön noch häßlich ist.

    Wesener tritt herein.

    WESENER. Ei sieh doch, gehorsamer Diener Herr Baron, wie kommt's denn daß wir wieder einmal die Ehre haben. Umarmt ihn.
    DESPORTES. Ich bin nur auf einige Wochen hier, einen meiner Verwandten zu besuchen, der von Brüssel angekommen ist.
    WESENER. Ich bin nicht zu Hause gewesen, werden verzeihen, mein Marianel wird Sie ennuyiert haben, wie befinden sich denn die werten Eltern, werden die Tabatieren doch erhalten haben –
    DESPORTES. Ohnezweifel, ich bin nicht bei ihnen gewesen, wir werden auch noch eine Rechnung mit einander haben Vaterchen.
    WESENER. O das hat gute Wege, es ist ja nicht das erstemal. Die gnädige Frau sind letzten Winter nicht zu unserm Carnaval herabgekommen.
    DESPORTES. Sie befindet sich etwas unpaß – waren viel Bälle?
    WESENER. So so es ließ sich noch halten – Sie wissen, ich komme auf keinen und meine Töchter noch weniger.
    DESPORTES. Aber ist denn das auch erlaubt, Herr Wesener daß Sie Ihren Töchtern alles Vergnügen so versagen, wie können sie dabei gesund bleiben.
    WESENER. O wenn sie arbeiten werden sie schon gesund bleiben. Meinem Marianel fehlt doch Gott sei Dank nichts und sie hat immer rote Backen.
    MARIANE. Ja das läßt sich der Papa nicht ausreden und ich krieg doch so bisweilen so eng um das Herz, daß ich nicht weiß wo ich vor Angst in der Stube bleiben soll.
    DESPORTES. Sehn Sie, Sie gönnen Ihr Mademoiselle Tochter kein Vergnügen und das wird noch einmal Ursache sein daß sie melancholisch werden wird.
    WESENER. Ei was sie hat Vergnügen genug mit ihren Kamerädinnen, wenn sie zusammen sind hört man sein eigen Wort nicht.
    DESPORTES. Erlauben Sie mir daß ich die Ehre haben kann, Ihre Mademoiselle Tochter einmal in die Komödie zu führen. Man gibt heut ein ganz neues Stück.
    MARIANE. Ach Papa!
    WESENER. Nein – Nein durchaus nicht Herr Baron! Nehmen Sie mir's nicht ungnädig, davon kein Wort mehr. Meine Tochter ist nicht gewohnt in die Komödie zu gehen, das würde nur Gerede bei den Nachbarn geben, und mit einem jungen Herrn von den Milizen dazu.
    DESPORTES. Sie sehen ich bin im Bürgerskleide, wer kennt mich.
    WESENER. Tant pis! ein für allemal es schickt sich mit keinem jungen Herren und denn ist es auch noch nicht einmal zum Tisch des Herrn gewesen und soll schon in die Komödie und die Staatsdame machen, kurz und gut, ich erlaube es nicht Herr Baron.
    MARIANE. Aber Papa, wenn den Herrn Baron doch nun niemand kennt.
    WESENER etwas leise. Willstu's Maul halten? niemand kennt, tant pis wenn ihn niemand kennt. Werden pardonnieren Herr Baron! so gern als Ihnen den Gefallen tun wollte, in allen andern Stücken haben zu befehlen.
    DESPORTES. A propos lieber Wesener! wollten Sie mir doch nicht einige von Ihren Zitternadeln weisen.
    WESENER. Sogleich. Geht heraus.
    DESPORTES. Wissen Sie was mein englisches mein göttliches Marianel, wir wollen Ihrem Vater einen Streich spielen. Heut geht es nicht mehr an, aber übermorgen geben sie ein fürtreffliches Stück, La chercheuse d'esprit, und die erste Piece ist der Deserteur – haben Sie hier nicht eine gute Bekannte?
    MARIANE. Frau Weyher.
    DESPORTES. Wo wohnt sie?
    MARIANE. Gleich hier an der Ecke beim Brunnen.
    DESPORTES. Da komm ich hin und da kommen Sie auch hin, so gehn wir mit einander in die Komödie.

    Wesener kommt wieder mit einer großen Schachtel Zitternadeln. Mariane winkt Desportes lächelnd zu.

    WESENER. Sehen Sie da sind zu allen Preisen – diese zu hundert Talern, diese zu funfzig, diese zu hundertfunfzig wie es befehlen.
    DESPORTES besieht eine nach der andern und weist die Schachtel Marianen. Zu welcher rieten Sie mir?

    Mariane lächelt und sobald der Vater beschäftigt ist eine herauszunehmen, winkt sie ihm zu.

    WESENER. Sehen Sie die spielt gut, auf meine Ehr.
    DESPORTES. Das ist wahr. Hält sie Marianen an den Kopf. Sehen Sie auf so schönem Braun, was das für eine Wirkung tut. O hören Sie, Herr Wesener, sie steht Ihrer Tochter gar zu schön, wollen Sie mir die Gnade tun und sie behalten.
    WESENER gibt sie ihm lächelnd zurück. Ich bitte Sie Herr Baron – das geht nicht an – meine Tochter hat noch in ihrem Leben keine Präsente von den Herren angenommen.
    MARIANE die Augen fest auf ihre Arbeit geheftet. Ich würde sie auch zu dem nicht haben tragen können, sie ist zu groß für meine Frisur.
    DESPORTES. So will ich sie meiner Mutter schicken. Wickelt sie sorgfältig ein.
    WESENER indem er die andern einschachtelt brummt etwas heimlich zu Marianen. Zitternadel du selber, sollst in deinem Leben keine auf den Kopf bekommen, das ist kein Tragen für dich. Sie schweigt still und arbeitet fort.
    DESPORTES. So empfehle ich mich denn Herr Wesener! Eh ich wegreise, machen wir richtig.
    WESENER. Das hat gute Wege Herr Baron, das hat gute Wege, sein Sie so gütig und tun uns einmal wieder die Ehre an.
    DESPORTES. Wenn Sie mir's erlauben wollen – Adieu Jungfer Mariane! Ab.
    MARIANE. Aber sag Er mir doch Papa wie ist Er denn auch.
    WESENER. Na hab ich dir schon wieder nicht recht gemacht. Was verstehst du doch von der Welt, dummes Keuchel.
    MARIANE. Er hat doch gewiß ein gutes Gemüt der Herr Baron.
    WESENER. Weil er dir ein paar Schmeicheleien und so und so – Einer ist so gut wie der andere, lehr du mich die jungen Milizen nit kennen. Da laufen sie in alle Aubergen und in alle Kaffeehäuser und erzählen sich und eh man sich's versieht, wips ist ein armes Maidel in der Leute Mäuler. Ja und mit der und der Jungfer ist's auch nicht zum besten bestellt und die und die kenn ich auch und die hätt ihn auch gern drin –
    MARIANE. Papa Fängt an zu weinen. Er ist auch immer so grob.
    WESENER klopft sie auf die Backen. Du mußt mir das so übel nicht nehmen, du bist meine einzige Freude, Narr, darum trag ich auch Sorge für dich.
    MARIANE. Wenn Er mich doch nur wollte für mich selber sorgen lassen. Ich bin doch kein klein Kind mehr.


    Torna su

    Sechste Szene

    Marianens Zimmer.
    Sie sitzt auf ihrem Bett, hat die Zitternadel in der Hand und spiegelt damit, in den tiefsten Träumereien. Der Vater tritt herein, sie fährt auf und sucht die Zitternadel zu verbergen.

    MARIANE. Ach Herr Jesus – –
    WESENER. Na so mach Sie doch das Kind nicht. Geht einigemal auf und ab, dann setzt er sich zu ihr. Hör Marianel! du weißt ich bin dir gut, sei du nur recht aufrichtig gegen mich, es wird dein Schade nicht sein. Sag mir hat dir der Baron was von der Lieb vorgesagt?
    MARIANE sehr geheimnisvoll. Pappa! – er ist verliebt in mich, das ist wahr. Sieht Er einmal, diese Zitternadel hat er mir auch geschenkt.
    WESENER. Was tausend Hagelweeter – Potz Mord noch einmal Nimmt ihr die Zitternadel weg. hab ich dir nicht verboten –
    MARIANE. Aber Papa ich kann doch so grob nicht sein und es ihm abschlagen. Ich sag Ihm er hat getan wie wütig, als ich's nicht annehmen wollte Läuft nach dem Schrank. hier sind auch Verse die er auf mich gemacht hat. Reicht ihm ein Papier.
    WESENER liest laut.
    Du höchster Gegenstand von meinen reinen Trieben
    Ich bet dich an, ich will dich ewig lieben.
    Weil die Versicherung von meiner Lieb und Treu
    Du allerschönstes Licht mit jedem Morgen neu.
    Du allerschönstes Licht, ha ha ha.
    MARIANE. Wart Er, ich will Ihm noch was weisen, er hat mir auch ein Herzchen geschenkt mit kleinen Steinen besetzt in einem Ring.

    Wieder zum Schrank. Der Vater besieht es gleichgültig.

    WESENER liest noch einmal. Du höchster Gegenstand von meinen reinen Trieben. Steckt die Verse in die Tasche. Er denkt doch honett seh ich. Hör aber Marianel, was ich dir sage, du mußt kein Präsent mehr von ihm annehmen. Das gefällt mir nicht daß er dir soviele Präsente macht.
    MARIANE. Das ist sein gutes Herz Pappa.
    WESENER. Und die Zitternadel gib mir her, die will ich ihm zurückgeben. Laß mich nur machen, ich weiß schon was zu deinem Glück dient, ich hab länger in der Welt gelebt als du mein' Tochter und du kannst nur immer allesfort mit ihm in die Komödien gehn, nur nimm jedesmal die Madam Weyher mit, und laß dir nur immer nichts davon merken als ob ich davon wüßte sondern sag nur, daß er's recht geheim hält und daß ich sehr böse werden würde wenn ich's erführe. Nur keine Präsente von ihm angenommen Mädel, um Gotteswillen.
    MARIANE. Ich weiß wohl daß der Pappa mir nicht übel raten wird. Küßt ihm die Hand. Er soll sehen, daß ich Seinem Rat in allen Stücken folgen werde. Und ich werde Ihm alles wiedererzählen darauf kann Er sich verlassen.
    WESENER. Na so denn. Küßt sie. Kannst noch einmal gnädige Frau werden närrisches Kind. Man kann nicht wissen was einem manchmal für ein Glück aufgehoben ist.
    MARIANE. Aber Papa. Etwas leise. Was wird der arme Stolzius sagen?
    WESENER. Du mußt darum den Stolzius nicht so gleich abschröcken, hör einmal. – Nu ich will dir schon sagen, wie du den Brief an ihm einzurichten hast. Unterdessen schlaf Sie gesund Meerkatze.
    MARIANE küßt ihm die Hand. Gute Nacht Pappuschka! – Da er fort ist, tut sie einen tiefen Seufzer und tritt ans Fenster indem sie sich aufschnürt. Das Herz ist mir so schwer. Ich glaub es wird gewittern die Nacht. Wenn es einschlüge – Sieht in die Höhe, die Hände über ihre offene Brust schlagend. Gott was hab ich denn Böses getan? – – Stolzius – ich lieb dich ja noch – aber wenn ich nun mein Glück besser machen kann – und Pappa selber mir den Rat gibt. Zieht die Gardine vor. Trifft mich's so trifft mich's, ich sterb nicht anders als gerne. Löscht ihr Licht aus.

    du Mary bring ihn nur immer mehr auf die Gedanken, daß da die schönste Frau in ganz Armentières wohnt, und daß Gilbert dir anvertraut hat, er werde diese Nacht zu ihr gehn.

    Torna su

    Zweiter Akt

    Dritte Szene

    In Lille.
    Mariane weinend auf einem Lehnstuhl, einen Brief in der Hand. Desportes tritt herein.

    DESPORTES. Was fehlt Ihnen mein goldenes Marianel, was haben Sie.
    MARIANE will den Brief in die Tasche stecken. Ach –
    DESPORTES. Ums Himmels willen, was ist das für ein Brief der Ihnen Tränen verursachen kann.
    MARIANE etwas leiser. Sehen Sie nur, was mir der Mensch der Stolzius schreibt, recht als ob er ein Recht hätte mich auszuschelten. Weint wieder.
    DESPORTES liest stille. Das ist ein impertinenter Esel. Aber sagen Sie mir, warum wechseln Sie Briefe mit solch einem Hundejungen.
    MARIANE trocknet sich die Augen. Ich will Ihnen nur sagen Herr Baron, es ist weil er angehalten hat um mich und ich ihm schon so gut als halb versprochen bin.
    DESPORTES. Er um Sie angehalten? Wie darf sich der Esel das unterstehen? Warten Sie ich will ihm den Brief beantworten.
    MARIANE. Ja mein lieber Herr Baron! Und Sie können nicht glauben was ich mit meinem Vater auszustehen habe, er liegt mir immer in den Ohren, ich soll mir mein Glück nicht verderben.
    DESPORTES. Ihr Glück – mit solch einem Lümmel. Was denken Sie doch, liebstes Marianel, und was denkt Ihr Vater? ich kenne ja des Menschen seine Umstände. Und kurz und gut, Sie sind für keinen Bürger gemacht.
    MARIANE. Nein Herr Baron, davon wird nichts, das sind nur leere Hoffnungen mit denen Sie mich hintergehen. Ihre Familie wird das nimmermehr zugeben.
    DESPORTES. Das ist meine Sorge. Haben Sie Feder und Dinte, ich will dem Lumpenhund seinen Brief beantworten, warten Sie einmal.
    MARIANE. Nein ich will selber schreiben. Setzt sich an den Tisch und macht das Schreibzeug zurecht, er stellt sich ihr hinter die Schulter.
    DESPORTES. So will ich Ihnen diktieren.
    MARIANE. Das sollen Sie auch nicht. Schreibt.
    DESPORTES liest ihr über die Schulter. Monsieur – Flegel setzen Sie dazu. Tunkt eine Feder ein und will dazu schreiben.
    MARIANE beide Arme über den Brief ausbreitend. Herr Baron –

    Sie fangen an zu schöckern; sobald sie den Arm rückt, macht er Miene zu schreiben; nach vielem Lachen gibt sie ihm mit der nassen Feder eine große Schmarre übers Gesicht. Er läuft zum Spiegel sich abzuwischen, sie schreibt fort.

    DESPORTES. Ich belaure Sie doch.

    Er kommt näher, sie droht ihm mit der Feder, endlich steckt sie das Blatt in die Tasche; er will sie daran verhindern, sie ringen zusammen; Marie kützelt ihn, er macht ein erbärmliches Geschrei, bis er endlich halb atemlos auf den Lehnstuhl fällt.

    WESENER tritt herein. Na was gibt's – die Leute von der Straße werden bald hereinkommen.
    MARIANE erholt sich. Pappa denkt doch was der grobe Flegel der Stolzius mir für einen Brief schreibt, er nennt mich Ungetreue! Denk doch, als ob ich die Säue mit ihm gehütet hätte, aber ich will ihm antworten darauf das er sich nicht vermuten soll, der Grobian.
    WESENER. Zeig mir her den Brief – ei sieh doch die Jungfer Zipfersaat – ich will ihn unten im Laden lesen. Ab.

    Junger Zipfersaat tritt herein.
    MARIANE hier und da launigt herumknicksend. Jungfer Zipfersaat hier hab ich die Ehre dir einen Baron zu präsentieren der sterblich verliebt in dich ist. Hier Herr Baron ist die Jungfer von der wir soviel gesprochen haben und in die Sie sich neulich in der Komödie so sterblich verschameriert haben.
    JUNGFER ZIPFERSAAT beschämt. Ich weiß nicht wie du bist Marianel.
    MARIANE einen tiefen Knicks. Jetzt können Sie Ihre Liebesdeklaration machen. Läuft ab, die Kammertür hinter sich zuschlagend. Jungfer Zipfersaat ganz verlegen tritt ans Fenster. Desportes der sie verächtlich angesehen, paßt auf Marianen, die von Zeit zu Zeit die Kammertür ein wenig eröffnet. Endlich steckt sie den Kopf heraus; höhnisch. Na seid ihr bald fertig?

    Desportes sucht sich zwischen die Tür einzuklemmen, Mariane sticht ihn mit einer großen Stecknadel fort; er schreit und läuft plötzlich heraus, um durch eine andere Tür in jenes Zimmer zu kommen. Jungfer Zipfersaat geht ganz verdrüßlich fort, derweil das Geschrei und Gejauchz im Nebenzimmer fortwährt.

    WESENERS ALTE MUTTER kriecht durch die Stube, die Brille auf der Nase, setzt sich in eine Ecke des Fensters und strickt und singt, oder krächzt vielmehr mit ihrer alten rauhen Stimme.
    ;;Ein Mädele jung ein Würfel ist
    ;;Wohl auf den Tisch gelegen:
    ;;Das kleine Rösel aus Hennegau
    ;;Wird bald zu Gottes Tisch gehen.

    ;;Zählt die Maschen ab.

    ;;Was lächelst so froh mein liebes Kind
    ;;Dein Kreuz wird dir'n schon kommen
    ;;Wenn's heißt das Rösel aus Hennegau
    ;;Hab nun einen Mann genommen.

    ;;O Kindlein mein, wie tut's mir so weh
    ;;Wie dir dein Äugelein lachen
    ;;Und wenn ich die tausend Tränelein seh
    ;;Die werden dein Bäckelein waschen.

    Indessen dauert das Geschöcker im Nebenzimmer fort. Die alte Frau geht hinein, sie zu berufen.

    Torna su

    Dritter Akt

    Dritte Szene

    In Lille.

    Jungfer Zipfersaat. Eine Magd aus Weseners Hause.

    JUNGFER ZIPFERSAAT. Sie ist zu Hause, aber sie läßt sich nicht sprechen? Denk doch, ist sie so vornehm geworden?
    MAGD. Sie sagt sie hat zu tun, sie liest in einem Buch.
    JUNGFER ZIPFERSAAT. Sag Sie ihr nur, ich hättihr etwas zu sagen, woran ihr alles in der Welt gelegen ist.

    Mariane kommt, ein Buch in der Hand. Mit nachlässigem Ton.

    MARIANE. Guten Morgen Jungfer Zipfersaat. Warum hat Sie sich nicht gesetzt?
    JUNGFER ZIPFERSAAT. Ich kam Ihr nur zu sagen, daß der Baron Desportes diesen Morgen weggelaufen ist.
    MARIANE. Was redst du da? Ganz außer sich.
    JUNGFER ZIPFERSAAT. Sie kann es mir glauben, er ist meinem Vetter über die siebenhundert Taler schuldig geblieben, und als sie auf sein Zimmer kamen, fanden sie alles ausgeräumt und einen Zettel auf dem Tisch, wo er ihnen schrieb, sie sollten sich keine vergebliche Mühe geben ihm nachzusetzen, er hab seinen Abschied genommen und wolle in österreichische Dienste gehen.
    MARIANE schluchsend läuft heraus und ruft. Pappa! Pappa!
    WESENER hinter der Szene. Na was ist?
    MARIANE. Komm Er doch geschwind herauf, lieber Pappa!
    JUNGER ZIPFERSAAT. Da sieht Sie wie die Herren Offiziers sind. Das hätt ich Ihr wollen zum voraus sagen.
    WESENER kommt herein. Na was ist – Ihr Diener Jungfer Zipfersaat.
    MARIANE. Pappa was sollen wir anfangen? Der Desportes ist weggelaufen.
    WESENER. Ei sieh doch, wer erzählt dir denn so artige Histörchen.
    MARIANE. Er ist dem jungen Herrn Seidenhändler Zipfersaat siebenhundert Taler schuldig geblieben und hat einen Zettel auf dem Tisch gelassen, daß er in seinem Leben nicht nach Flandern wiederkommen will.
    WESENER sehr böse. Was das ein gottloses verdammtes Gered – Sich auf die Brust schlagend. Ich sag gut für die siebenhundert Taler, versteht Sie mich Jungfer Zipfersaat? Und für noch einmal soviel wenn Sie's haben will. Ich hab mit dem Hause über die dreißig Jahr verkehrt, aber das sind die gottsvergessenen Neider –
    JUNGFER ZIPFERSAAT. Das wird meinem Vetter eine große Freude machen Herr Wesener, wenn Sie es auf sich nehmen wollen den guten Namen vom Herrn Baron zu retten.
    WESENER. Ich geh mit Ihr, den Augenblick. Sucht seinen Hut. Ich will den Leuten das Maul stopfen, die sich unterstehen wollen, mir das Haus in üblen Ruf zu bringen, versteht Sie mich.
    MARIANE. Aber Papa – Ungeduldig. O ich wünschte daß ich ihn nie gesehen hätte.

    Wesener und Jungfer Zipfersaat gehen ab.

    MARIANE wirft sich in den Sorgstuhl und nachdem sie eine Weile in tiefen Gedanken gesessen, ruft sie ängstlich. Lotte! – – Lotte!

    Charlotte kommt.

    CHARLOTTE. Na was willst du denn, daß du mich so rufst.
    MARIANE geht ihr entgegen. Lottchen – mein liebes Lottchen. Ihr unter dem Kinn streichelnd.
    CHARLOTTE. Na Gott behüt, wo kommt das Wunder?
    MARIANE. Du bist auch mein allerbestes Scharlottel, du.
    CHARLOTTE. Gewiß will Sie wieder Geld von mir leihen.
    MARIANE. Ich will dir auch alles zu Gefallen tun.
    CHARLOTTE. Ei was ich habe nicht Zeit. Will gehen.
    MARIANE hält sie. So hör doch – nur für einen Augenblick – kannst du mir nicht helfen einen Brief schreiben?
    CHARLOTTE. Ich habe nicht Zeit.
    MARIANE. Nur ein paar Zeilen – ich laß dir auch die Perlen vor sechs Livres.
    CHARLOTTE. An wen denn?
    MARIANE beschämt. An den Stolzius.
    CHARLOTTE fängt an zu lachen. Schlägt Ihr das Gewissen?
    MARIANE halb weinend. So laß doch –
    CHARLOTTE setzt sich an den Tisch. Na was willst du ihm denn schreiben – Sie weiß wie ungern ich schreib.
    MARIANE. Ich hab so ein Zittern in den Händen – schreib so oben oder in einer Reihe wie du willst: »Mein liebwertester Freund.«
    CHARLOTTE. Mein liebwertester Freund.
    MARIANE. »Dero haben in Ihren letzten Schreiben mir billige Gelegenheit gegeben, da meine Ehre angegriffen.«
    CHARLOTTE. Angegriffen.
    MARIANE. »Indessen müssen nicht alle Ausdrücke auf der Waagschale legen, sondern auf das Herz ansehen, das Ihnen« – wart wie soll ich nun schreiben.
    CHARLOTTE. Was weiß ich?
    MARIANE. So sag doch wie heißt das Wort nun.
    CHARLOTTE. Weiß ich denn was du ihm schreiben willst.
    MARIANE. »Daß mein Herz und –« Fängt an zu weinen und wirft sich in den Lehnstuhl.
    CHARLOTTE sieht sie an und lacht. Na was soll ich ihm denn schreiben?
    MARIANE schluchsend. Schreib was du willst.
    CHARLOTTE schreibt und liest. »Daß mein Herz nicht so wankelmütig ist als Sie es sich vorstellen« – ist so recht?
    MARIANE springt auf und sieht ihr über die Schulter. Ja so ist recht, so ist recht. Sie umhalsend. Mein altes Scharlottel du.
    CHARLOTTE. Na so laß Sie mich doch ausschreiben.

    Mariane spaziert ein paarmal auf und ab, dann springt sie plötzlich zu ihr, reißt ihr das Papier unter dem Arm weg und zerreißt's in tausend Stücken.

    CHARLOTTE in Wut. Na seht doch – ist das nicht ein Luder – eben da ich den besten Gedanken hatte – aber so eine Canaille ist Sie.
    MARIANE. Canaille vous même.
    CHARLOTTE droht ihr mit dem Dintenfaß. Du –
    MARIANE. Sie sucht einen noch mehr zu kränken, wenn man schon im Unglück ist.
    CHARLOTTE. Luder! warum zerreißt du denn, da ich eben im besten Schreiben bin.
    MARIANE ganz hitzig. Schimpf nicht!
    CHARLOTTE auch halb weinend. Warum zerreißt du denn?
    MARIANE. Soll ich ihm denn vorlügen? Fängt äußerst heftig an zu weinen und wirft sich mit dem Gesicht auf einen Stuhl.

    Wesener tritt herein. Mariane sieht auf und fliegt ihm an den Hals.

    MARIANE zitternd. Pappa, lieber Pappa, wie steht's – um Gotteswillen, red Er doch.
    WESENER. So sei doch nicht so närrisch, er ist ja nicht aus der Welt, Sie tut ja wie abgeschmackt –
    MARIANE. Wenn er aber fort ist –
    WESENER. Wenn er fort ist so muß er wiederkommen, ich glaube Sie hat den Verstand verloren und will mich auch wunderlich machen. Ich kenne das Haus seit länger als gestern, sie werden doch das nicht wollen auf sich sitzen lassen. Kurz und gut, schick herauf zu unserm Notarius droben, ob er zu Hause ist, ich will den Wechsel, den ich für ihn unterschrieben habe, fidimieren lassen, zugleich die Kopei von dem Promesse de Mariage, und alles den Eltern zuschicken.
    MARIANE. Ach Papa, lieber Pappa! ich will gleich selber laufen und ihn holen. Läuft über Hals und Kopf ab.
    WESENER. Das Mädel kann Gott verzeih mir einem Louis quatorze selber das Herz machen in die Hosen fallen. Aber schlecht ist das auch von Monsieur le Baron, ich will es bei seinem Herrn Vatter schon für ihn kochen, wart du nur. – Wo bleibt sie denn? Geht Marianen nach.

    Zehnte Szene

    Die Gräfin La Roche und Mariane, die wieder hereinkommen.

    MARIANE. Sie werden verzeihen gnädige Frau, es ist hier alles in der größten Rappuse.
    GRÄFIN. Mein liebes Kind, Sie brauchen mit mir nicht die allergeringsten Umstände zu machen. Faßt sie an die Hand und setzt sich mit ihr aufs Kanapee. Sehen Sie mich als Ihre beste Freundin an Sie küssend. ich versichere Sie, daß ich den aufrichtigsten Anteil nehme an allem was Ihnen begegnen kann.
    MARIANE sich die Augen wischend. Ich weiß nicht womit ich die besondere Gnade verdient habe, die Sie für mich tragen.
    GRÄFIN. Nichts von Gnade, ich bitte Sie. Es ist mir lieb, daß wir allein sind, ich habe Ihnen viel vieles zu sagen, das mir auf dem Herzen liegt, und Sie auch manches zu fragen. Mariane sehr aufmerksam, die Freude in ihrem Gesicht. Ich liebe Sie mein Engel! ich kann mich nicht enthalten, es Ihnen zu zeigen. Mariane küßt ihr inbrunstvoll die Hand. Ihr ganzes Betragen hat so etwas Offenes, so etwas Einnehmendes, daß mir Ihr Unglück dadurch doppelt schmerzhaft wird. Wissen Sie denn auch meine neue liebe Freundin daß man viel viel in der Stadt von Ihnen spricht.
    MARIANE. Ich weiß wohl, daß es allenthalben böse Zungen gibt.
    GRÄFIN. Nicht lauter böse, auch gute sprechen von Ihnen. Sie sind unglücklich, aber Sie können sich damit trösten daß Sie sich Ihr Unglück durch kein Laster zugezogen. Ihr einziger Fehler war, daß Sie die Welt nicht kannten, daß Sie den Unterscheid nicht kannten, der unter den verschiedenen Ständen herrscht, daß Sie die Pamela gelesen haben, das gefährlichste Buch das eine Person aus Ihrem Stande lesen kann.
    MARIANE. Ich kenne das Buch ganz und gar nicht.
    GRÄFIN. So haben Sie den Reden der jungen Leute zuviel getraut.
    MARIANE. Ich habe nur einem zuviel getraut und es ist noch nicht ausgemacht, ob er falsch gegen mich denkt.
    GRÄFIN. Gut liebe Freundin! aber sagen Sie mir, ich bitte Sie, wie kamen Sie doch dazu, über Ihren Stand heraus sich nach einem Mann umzusehen. Ihre Gestalt, dachten Sie, könnte Sie schon weiter führen als Ihre Gespielinnen; ach liebe Freundin, eben das hätte Sie sollen vorsichtiger machen. Schönheit ist niemals ein Mittel, eine gute Heurat zu stiften, und niemand hat mehr Ursache zu zittern als ein schön Gesicht. Tausend Gefahren mit Blumen überstreut, tausend Anbeter und keinen Freund, tausend unbarmherzige Verräter.
    MARIANE. Ach gnädige Frau, ich weiß wohl daß ich häßlich bin.
    GRÄFIN. Keine falsche Bescheidenheit. Sie sind schön, der Himmel hat Sie damit gestraft. Es fanden sich Leute über Ihren Stand die Ihnen Versprechungen taten. Sie sahen gar keine Schwürigkeit eine Stufe höher zu rücken, Sie verachteten Ihre Gespielinnen, Sie glaubten nicht nötig zu haben, sich andere liebenswürdige Eigenschaften zu erwerben, Sie scheuten die Arbeit, Sie begegneten jungen Mannsleuten Ihres Standes verächtlich, Sie wurden gehaßt. Armes Kind! wie glücklich hätten Sie einen rechtschaffenen Bürger machen können, wenn Sie diese fürtreffliche Gesichtszüge, dieses einnehmende bezaubernde Wesen mit einem demütigen menschenfreundlichen Geist beseelt hätten, wie wären Sie von allen Ihres gleichen angebetet, von allen Vornehmen nachgeahmt und bewundert worden. Aber Sie wollten von Ihresgleichen beneidet werden. Armes Kind, wo dachten Sie hin und gegen welch ein elendes Glück wollten Sie alle diese Vorzüge eintauschen? Die Frau eines Mannes zu werden, der um Ihrentwillen von seiner ganzen Familie gehaßt und verachtet würde. Und einem so unglücklichen Hazardspiel zu Gefallen Ihr ganzes Glück, Ihre ganze Ehre, Ihr Leben selber auf die Karte zu setzen. Wo dachten Sie hinaus? wo dachten Ihre Eltern hinaus? Armes betrogenes durch die Eitelkeit gemißhandeltes Kind. Drückt sie an ihre Brust. Ich wollte mein Blut hergeben, daß das nicht geschehen wäre.
    MARIANE weint auf ihre Hand. Er liebte mich aber.
    GRÄFIN. Die Liebe eines Offiziers Mariane – eines Menschen, der an jede Art von Ausschweifung, von Veränderung gewöhnt ist, der ein braver Soldat zu sein aufhört, sobald er ein treuer Liebhaber wird, der dem König schwört es nicht zu sein und sich dafür von ihm bezahlen läßt. Und Sie glaubten die einzige Person auf der Welt zu sein, die ihn trotz des Zorns seiner Eltern, trotz des Hochmuts seiner Familie, trotz seines Schwurs, trotz seines Charakters, trotz der ganzen Welt treu erhalten wollten? Das heißt, Sie wollten die Welt umkehren. – – Und da Sie nun sehen daß es fehlgeschlagen hat, so glauben Sie bei andern Ihren Plan auszuführen und sehen nicht, daß das was Sie für Liebe bei den Leuten halten, nichts als Mitleiden mit Ihrer Geschichte, oder gar was Schlimmers ist. Mariane fällt vor ihr auf die Knie, verbirgt ihr Gesicht in ihren Schoß und schluchst. Entschließ dich bestes Kind! unglückliches Mädchen, noch ist es Zeit, noch ist der Abgrund zu vermeiden, ich will sterben, wenn ich dich nicht herausziehe. Lassen Sie sich alle Anschläge auf meinen Sohn vergehen, er ist versprochen, die Fräulein Anklam hat seine Hand und sein Herz. Aber kommen Sie mit in mein Haus, Ihre Ehre hat einen großen Stoß gelitten, das ist der einzige Weg, sie wieder herzustellen. Werden Sie meine Gesellschafterin und machen Sie sich gefaßt in einem Jahr keine Mannsperson zu sehen. Sie sollen mir meine Tochter erziehen helfen – kommen Sie wir wollen gleich zu Ihrer Mutter gehen und sie um Erlaubnis bitten, daß Sie mit mir fahren dürfen.
    MARIANE hebt den Kopf rührend aus ihrem Schoß auf. Gnädige Frau – es ist zu spät.
    GRÄFIN hastig. Es ist nie zu spät vernünftig zu werden. Ich setze Ihnen tausend Taler zur Aussteuer aus, ich weiß daß Ihre Eltern Schulden haben.
    MARIANE noch immer auf den Knien, halb rückwärts fallend, mit gefaltenen Händen. Ach gnädige Frau, erlauben Sie mir daß ich mich drüber bedenke – daß ich alles das meiner Mutter vorstelle.
    GRÄFIN. Gut liebes Kind, tun Sie Ihr Bestes – Sie sollen Zeitvertreib genug bei mir haben, ich will Sie im Zeichnen, Tanzen und Singen unterrichten lassen.
    MARIANE fällt auf ihr Gesicht. O gar zu, gar zu gnädige Frau.
    GRÄFIN. Ich muß fort – Ihre Mutter würde mich in einem wunderlichen Zustand antreffen. Geht schnell ab, sieht noch durch die Tür hinein nach Marianen, die noch immer wie im Gebet liegt. Adieu Kind! Ab.

    Torna su

    Fünfter Akt

    Erste Szene

    Auf dem Wege nach Armentières.
    Wesener, der ausruht.

    WESENER. Nein keine Post nehm ich nicht und sollt ich hier liegen bleiben. Mein armes Kind hat mich genug gekostet eh sie zu der Gräfin kam, das mußte immer die Staatsdame gemacht sein, und Bruder und Schwester sollen's ihr nicht vorzuwerfen haben. Mein Handel hat auch nun schon zwei Jahr gelegen – wer weiß was Desportes mit ihr tut, was er mit uns allen tut – denn bei ihm ist sie doch gewiß. Man muß Gott vertrauen – Bleibt in tiefen Gedanken.

    Zweite Szene

    Mariane auf einem andern Wege nach Armentières unter einem Baum ruhend, zieht ein Stück trocknes Brod aus der Tasche.

    MARIANE. Ich habe immer geglaubt, daß man von Brod und Wasser allein leben könnte. Nagt daran. O hätt ich nur einen Tropfen von dem Wein, den ich so oft aus dem Fenster geworfen – womit ich mir in der Hitze die Hände wusch – Kontorsionen. O das quält – – nun ein Bettelmensch – Sieht das Stück Brod an. Ich kann's nicht essen Gott weiß es. Besser verhungern. Wirft das Stück Brod hin und rafft sich auf. Ich will kriechen, so weit ich komme, und fall ich um, desto besser.
    [...]

    Torna su

    Dritte Szene

    In Armentières.
    Marys Wohnung.
    Mary und Desportes sitzen beide ausgekleidet an einem kleinen gedeckten Tisch. Stolzius nimmt Servietten aus.

    DESPORTES. Wie ich dir sage, es ist eine Hure vom Anfang an gewesen und sie ist mir nur darum gut gewesen, weil ich ihr Präsenten machte. Ich bin ja durch sie in Schulden gekommen, daß es erstaunend war, sie hätte mich um Haus und Hof gebracht, hätt ich das Spiel länger getrieben. Kurz um Herr Bruder, eh ich mich's versehe, krieg ich einen Brief von dem Mädel, sie will zu mir kommen nach Philippeville. Nun stell dir das Spektakel vor, wenn mein Vater die hätte zu sehen gekriegt. Stolzius wechselt einmal ums andere die Servietten um, um Gelegenheit zu haben, länger im Zimmer zu bleiben. Was zu tun, ich schreib meinem Jäger er soll sie empfangen und ihr solange Stubenarrest auf meinem Zimmer ankündigen, bis ich selber wieder nach Philippeville zurückkäme und sie heimlich zum Regiment abholte. Denn sobald mein Vater sie zu sehen kriegte, wäre sie des Todes. Nun mein Jäger ist ein starker robuster Kerl, die Zeit wird ihnen schon lang werden auf einer Stube allein. Was der nun aus ihr macht will ich abwarten Lacht Höhnisch. ich hab ihm unter der Hand zu verstehen gegeben daß es mir nicht zuwider sein würde.
    MARY. Hör Desportes, das ist doch malhonett.
    DESPORTES. Was malhonett, was willst du – Ist sie nicht versorgt genug wenn mein Jäger sie heuratet? Und für so eine –
    MARY. Sie war doch sehr gut angeschrieben bei der Gräfin. Und hol mich der Teufel Bruder ich hätte sie geheuratet, wenn mir nicht der junge Graf in die Quer gekommen wäre, denn der war auch verflucht gut bei ihr angeschrieben auch.
    DESPORTES. Da hättest du ein schön Sauleder an den Hals bekommen.

    Stolzius geht heraus.

    MARY ruf ihm nach. Macht daß der Herr seine Weinsuppe bald bekommt – Ich weiß nicht wie es kam, daß der Mensch mit ihr bekannt ward, ich glaube gar sie wollte mich eifersüchtig machen, denn ich hatte eben ein paar Tage her mit ihr gemault. Das hätt alles noch nichts zu sagen gehabt, aber einmal kam ich hin, es war in den heißesten Hundstagen, und sie hatte eben wegen der Hitze nur ein dünnes dünnes Röckchen von Nesseltuch an, durch das ihre schönen Beine durchschienen. Sooft sie durchs Zimmer ging und das Röckchen ihr so nachflatterte – hör ich hätte die Seligkeit drum geben mögen, die Nacht bei ihr zu schlafen. Nun stell dir vor, zu allem Unglück muß den Tag der Graf hinkommen, nun kennst du des Mädels Eitelkeit. Sie tat wie unsinnig mit ihm, ob nun mich zu schagrinieren, oder weil solche Mädchens gleich nicht wissen, woran sie sind wenn ein Herr von hohem Stande sich herabläßt, ihnen ein freundlich Gesicht zu weisen. Stolzius kommt herein, trägt vor Desportes auf und stellt sich totenbleich hinter seinen Stuhl. Mir ging's wie dem überglühten Eisen, das auf einmal kalt wie Eis wird. Desportes schlingt die Suppe begierig in sich. Aller Appetit zu ihr verging mir. Von der Zeit an hab ich ihr nie wieder recht gut werden können. Zwar wie ich hörte daß sie von der Gräfin weggelaufen sei –
    DESPORTES im Essen. Was reden wir weiter von dem Knochen? Ich will dir sagen Herr Bruder, du tust mir einen Gefallen, wenn du mir ihrer nicht mehr erwähnst. Es ennuyiert mich wenn ich an sie denken soll. Schiebt die Schale weg.
    STOLZIUS hinter dem Stuhl, mit verzerrtem Gesicht. Würklich?

    Beide sehen ihn an voll Verwunderung.

    DESPORTES hält sich die Brust. Ich kriege Stiche – Aye! –
    MARY steif den Blick auf Stolzius geheftet ohne ein Wort zu sagen.
    DESPORTES wirft sich in einen Lehnstuhl. – Aye! – Mit Kontorsionen. Mary! –
    STOLZIUS springt hinzu, faßt ihn an die Ohren und heftet sein Gesicht auf das seinige. Mit fürchterlicher Stimme. Mariane! – Mariane! – Mariane!
    MARY zieht den Degen und will ihn durchbohren.
    STOLZIUS kehrt sich kaltblütig um und faßt ihm in den Degen. Geben Sie sich keine Mühe, es ist schon geschehen. Ich sterbe vergnügt da ich den mitnehmen kann.
    MARY läßt ihm den Degen in der Hand und läuft heraus. Hülfe! – Hülfe –
    DESPORTES. Ich bin vergiftet.
    STOLZIUS. Ja Verräter das bist du – und ich bin Stolzius, dessen Braut du zur Hure machtest. Sie war meine Braut. Wenn ihr nicht leben könnt, ohne Frauenzimmer unglücklich zu machen, warum wendt ihr euch an die, die euch nicht widerstehen können, die euch aufs erste Wort glauben. – Du bist gerochen meine Mariane! Gott kann mich nicht verdammen. Sinkt nieder.

    DESPORTES. Hülfe! Nach einigen Verzuckungen stirbt er gleichfalls.

    Vierte Szene

    Wesener spaziert an der Lys in tiefen Gedanken. Es ist Dämmerung. Eine verhüllte Weibsperson zupft ihn am Rock.

    WESENER. Laß Sie mich – ich bin kein Liebhaber von solchen Sachen.
    DIE WEIBSPERSON mit halb unvernehmlicher Stimme. Um Gottes willen, ein klein Almosen, gnädiger Herr.
    WESENER. Ins Arbeitshaus mit Euch. Es sind hier der lüderlichen Bälge die Menge, wenn man allen Almosen geben sollte hätte man viel zu tun.
    WEIBSPERSON. Gnädiger Herr ich bin drei Tage gewesen, ohne einen Bissen Brod in Mund zu stecken, haben Sie doch die Gnade und führen mich in ein Wirtshaus, wo ich einen Schluck Wein tun kann.
    WESENER. Ihr lüderliche Seele! schämt Ihr Euch nicht, einem honetten Mann das zuzumuten? Geht, lauft Euren Soldaten nach.

    Weibsperson geht fort ohne zu antworten.

    WESENER. Mich deucht, sie seufzte so tief. Das Herz wird mir so schwer. Zieht den Beutel hervor. Wer weiß wo meine Tochter itzt Almosen heischt. Läuft ihr nach und reicht ihr zitternd ein Stück Geld. Da hat Sie einen Gulden – aber bessere Sie sich.
    WEIBSPERSON fängt an zu weinen. O Gott! Nimmt das Geld und fällt halb ohnmächtig nieder. Was kann mir das helfen?
    WESENER kehrt sich ab und wischt sich die Augen. Zu ihr ganz außer sich. Wo ist Sie her?
    WEIBSPERSON. Das darf ich nicht sagen. Aber ich bin eines honetten Mannes Tochter.
    WESENER. War Ihr Vater ein Galanteriehändler?
    WEIBSPERSON schweigt stille.
    WESENER. Ihr Vater war ein honetter Mann? – Steh Sie auf, ich will Sie in mein Haus führen. Sucht ihr aufzuhelfen. Wohnt Ihr Vater nicht etwan in Lille – Beim letzten Wort fällt sie ihm um den Hals.
    WESENER schreit laut. Ach meine Tochter.
    MARIANE. Mein Vater!

    Beide wälzen sich halb tot auf der Erde. Eine Menge Leute versammlen sich um sie und tragen sie fort.

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    Fünfte und letzte Szene

    Des Obristen Wohnung.
    Der Obriste Graf von Spannheim. Die Gräfin La Roche.

    GRÄFIN. Haben Sie die beiden Unglücklichen gesehen? Ich habe das Herz noch nicht. Der Anblick würde mich töten.
    OBRISTE. Er hat mich zehn Jahre älter gemacht. Und daß das bei meinem Corps soll geschehen sein. – Aber gnädige Frau! was kann man da machen. Es ist das Schicksal des Himmels über gewisse Personen – Ich will dem Mann alle seine Schulden bezahlen und noch tausend Taler zur Schadloshaltung obenein. Hernach will ich sehen, was ich bei dem Vater des Bösewichts für diese durch ihn verwüstete und verheerte Familie auswirken kann.
    GRÄFIN. Würdiger Mann! nehmen Sie meinen heißesten Dank in diesen Tränen. Ich habe alles getan das unglückliche Schlachtopfer zu retten – sie wollte nicht.
    OBRISTE. Ich wüßt ihr keinen andern Rat, als daß sie Beguine würde. Ihre Ehre ist hin, kein Mensch darf sich ohne zu erröten ihrer annehmen. Obschon sie versichert, sie sei den Gewalttätigkeiten des verwünschten Jägers noch entkommen. O gnädige Frau, wenn ich Gouverneur wäre, der Mensch müßte mir hängen –
    GRÄFIN. Das beste liebenswürdigste Geschöpf – ich versichere Ihnen, daß ich anfing die größte Hoffnungen von ihr zu schöpfen. Sie weint.
    OBRIST. Diese Tränen machen Ihnen Ehre gnädige Frau! Sie erweichen auch mich. Und warum sollte ich nicht weinen, ich der ich fürs Vaterland streiten und sterben soll, einen Bürger desselben durch einen meiner Untergebenen mit seinem ganzen Hause in den unvermeidlichsten Untergang gestürzt zu sehen.
    GRÄFIN. Das sind die Folgen des ehlosen Standes der Herren Soldaten.
    OBRIST zuckt die Schultern. Wie ist dem abzuhelfen? Wissen Sie denn nicht gnädige Frau, daß schon Homer gesagt hat, ein guter Ehmann sei immer auch ein schlechter Soldat.
    GRÄFIN. Ich habe allezeit eine besondere Idee gehabt, wenn ich die Geschichte der Andromeda gelesen. Ich sehe die Soldaten an wie das Ungeheuer, dem schon von Zeit zu Zeit ein unglückliches Frauenzimmer freiwillig aufgeopfert werden muß, damit die übrigen Gattinnen und Töchter verschont bleiben.
    OBRIST. Ihre Idee ist lange die meinige gewesen, nur habe ich sie nicht so schön gedacht. Der König müßte dergleichen Personen besolden, die sich auf die Art dem äußersten Bedürfnis seiner Diener aufopferten, denn kurz um, den Trieb haben doch alle Menschen; dieses wären keine Weiber die die Herzen der Soldaten feig machen könnten, es wären Konkubinen die allenthalben in den Krieg mitzögen und allenfalls wie jene medischen Weiber unter dem Cyrus die Soldaten zur Tapferkeit aufmuntern würden.
    GRÄFIN. O daß sich einer fände diese Gedanken bei Hofe durchzutreiben. Dem ganzen Staat würde geholfen sein.
    OBRIST. Und Millionen Unglückliche weniger. Die durch unsere Unordnungen zerrüttete Gesellschaft würde wieder aufblühen und Fried und Wohlfahrt aller und Ruhe und Freude sich untereinander küssen.

    Torna su